Der Fluch des Florentiners
dumpfköpfiger Typ wie der in Ägypten, dieser neureiche deutsche Single-Anwalt in ihrem Urlaub, der sie zwei Mal alleine hatte zum Abendessen gehen sehen und danach geglaubt hatte, sie nach zwei Glas Wein an der Bar fragen zu können, ob sie einen Mann fürs Bett suche. Nein, Gregor war für solch billige Anmache viel zu feinfühlig und intelligent. Aber dennoch war sie sich sicher, dass er nichts anderes wollte als dieser ordinäre Deutsche. Diese Zwischentöne, diesen kaschierten Schmäh, all das kannte sie. Sie kannte es von den alten Männer, den Geschäftspartnern ihres Vaters, die sie mit lüsternen Blicken abgetastet und ihr in gewählten Worten letztendlich eindeutige Avancen gemacht hatten. Und sie kannte es von Patrick, von Dirk, von Fredrik – und wie sie sonst noch alle geheißen hatten. Jeder von ihnen hatte seine Masche gehabt, mal einfallsreich, mal plump. Manchmal konnten sie den Anschein, sie wollten mehr – eine wirkliche Partnerschaft –, über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten. Dann wieder zeigten sie erschreckend schnell ihre wahren Intentionen. Alle hatten sie letztendlich nur eins von ihr gewollt: ihren Körper! Sie aber hatte stets mehr gesucht: Zärtlichkeit, Vertrautheit und Wärme. Die Einheit von Körper und Seele!
Verwirrt räusperte sie sich. Gregor lächelte sie an. Er war sehr attraktiv, aber Marie-Claire spürte, wie sie sich von ihm distanzierte. » Entschuldige mich bitte für einen Moment «, lächelte sie ihm ein wenig gezwungen zu und stand auf. In der Damentoilette holte sie tief Luft. Irritiert starrte sie in den Spiegel. Sie sah heute hervorragend aus. Ein wenig übermüdet vielleicht. Aber in dem schwarzen Kleid hatte sie ein e p erfekte Figur. Es war ein nahezu perfekter Körper. Ja, sie hatte eine gute, durchtrainierte und zugleich sehr weibliche Figur. Schon als Kind hatte sie Ballettunterricht genommen. Sport hatte in ihrem Leben stets eine große Rolle gespielt. Sie liebte es, Ski zu fahren, hatte Surfen gelernt, war mit den Eltern intensiv gesegelt und ging seit Jahren regelmäßig ins Fitnessstudio. Ja, sie war sich ihres guten Aussehens bewusst!
Ihr langes, blondgelocktes Haar ließ sie noch verführerischer sein. Manchmal hatte sie sich jedoch gewünscht, einen weniger reizvollen Körper zu haben.
Marie-Claire de Vries trat näher an den Spiegel heran und blickte tief in ihre großen, blauen Augen. Ihre Augen hatten in den letzten Jahren ein wenig an Glanz verloren, aber es waren sehr schöne Augen. Und doch sah sie jetzt, hier in der Damentoilette des Ristorante Firenze in Wien, plötzlich einen Schimmer von Traurigkeit. Nicht nur in ihren Augen.
Marie-Claire starrte noch immer in den Spiegel. Sie versuchte, die traurigen Gedanken abzuschütteln. Was hatte sie nur plötzlich an Gregor so gestört? Du weißt es, sagte sie jetzt in Gedanken zu sich selbst. Du weißt es sehr genau! Es waren seine Worte gewesen! Seine bestimmende Männlichkeit! Der Unterton in seinen vermeintlich so netten Worten!
» Du bist völlig bescheuert! «, sagte sie zu ihrem Spiegelbild.
» Wenn du immer glaubst, dass es sowieso wieder schief geht, dann wird es nie was werden mit den Männern! «
Kaum, dass sie das geflüstert hatte, fiel ihr ein, dass dies die Worte ihres Therapeuten gewesen waren. Ja, er hatte Recht gehabt mit seiner Einschätzung. Sie konnte eine neu entstehende Beziehung nicht locker nehmen. Sofort wurden ihre alten Ängste geweckt, und am Ende stand sie wieder allein da. Demonstrativ warf sie den Kopf in den Nacken, schüttelte ihr Haar locker, zog das Kleid zurecht und ging zurück in das Restaurant. Schon von weitem lächelte ihr Gregor wieder mit dieser unglaublich gewinnenden Art zu. Sie lächelte zurück. Trotz ihrer trüben Gedanken wurde es ein sehr langer und sehr schöner Abend mit Gregor Friedrich Albert von Freysing. Dennoch: Er verlief anders, als sie sich das am Tage zuvor vorgestellt hatte.
9. Kapitel
D
a s Buch war um acht Uhr per Eilboten mit der Post gekommen. Eine Stunde später saß Marie-Claire de Vries bereits im Flugzeug nach Berlin. Am Flughafen waren ihr wieder einmal die Veränderungen der letzten Jahre in Wien bewusst geworden. Die Osterweiterung der EU hatte die Stadt mit ihren traditionellen historischen Verbindungen nach Ungarn, Tschechien, Rumänien und den Balkanstaaten binnen kürzester Zeit zu einem wirtschaftlichen, aber auch kulturellen Zentrum Europas werden lassen. Das hatte sich auch auf die Flugverbindungen
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