Der Fluch des Florentiners
spannend. Wie sie mittlerweile wusste, schilderte dieses Buch das mysteriöse und Aufsehen erregende Verschwinden eines Teils der österreichischen Kronjuwelen aus der Wiener Schatzkammer im Jahre 1918, kurz vor der Flucht der österreichischen Kaiserfamilie in die Schweiz. Sensationell für sie war die Tatsache, dass zu den seither fast ausnahmslos spurlos verschwundenen Preziosen auch der Florentiner gehörte. Der Hundertsiebenunddreißig-Karat Diamant hatte im dritten Raum der Wiener Schatzkammer in der Vitrine XIII gelegen. Daher auch der Titel des Buches, das auf den Memoiren des Schweizer Juwelenhändlers Alphonse de Sondheimer basierte. Er war es gewesen, der wahrscheinlich im direkten Auftrag des im Exil weilenden österreichischen Kaisers von Genf aus Juwelen, Schmuck und Kunstgegenstände von unvorstellbarem Wert verscherbelte. Ganz offensichtlich hatte auch Sondheimer als Letzter einen der berühmtesten Diamanten des Abendlandes, den Florentiner, gesehen. Hastig blätterte Marie-Claire in dem Buch herum. Sie schüttelte fasziniert den Kopf.
» Unglaublich, unfassbar – Wahnsinn! «, murmelte sie so laut vor sich hin, das der vor ihr sitzende Passagier sich zu ihr umdrehte und sie verwundert anschaute. Was sie da an Zahlen und Details bereits erfahren hatte, ließ ihr Gänsehaut über den Rücken laufen. Hier hatte sie die akribischen Aufzeichnungen über einen der spektakulärsten Kunst- und Edelsteinhandel der letzten Jahrhunderte in der Hand. Es tauchten Summen auf, bei denen ihr schwindelig wurde. Absoluter Wahnwitz war die Schilderung, wie eines der berühmtesten Herrscherhäuser der Welt im Exil aus Geldnot Gold, Edelsteine, Schmuck und andere Wertgegenstände über dubiose Mittelsmänner verschleudert und verpfändet hatte. Prachtvolle Edelsteine waren aus Fassungen gebrochen, teils auf barbarische Weise zerstückelt und auf dem schwarzen Markt weltweit verkauft worden. Aus unschätzbar kostbaren Schmuckstücken, deren Namen seit Jahrhunderten die Inventarlisten königlicher und kaiserlicher Schatzkammern in Europa geziert hatten, waren Rubine, Saphire und Diamanten herausgeschlagen, zerteilt und an suspekte Zwischenhändler verkauft worden. Und das alles offenbar von diesem Schmuckhändler Sondheimer – im persönlichen Auftrag des letzten Kaisers von Österreich!
Marie-Claire fragte sich, ob das alles stimmte, was in diesem kleinen Büchlein geschrieben stand. Warum der Herausgeber anonym geblieben war? Und warum war dieses sensationelle Buch nie bekannt geworden? Was hatte ihr Freund gesagt? Sie überflog ihre handschriftlichen Notizen, die sie sich während des Telefonats gemacht hatte: » … es beruht auf den handschrif t lichen Aufzeichnungen von Sondheimer … ging an den Bestsellerautor Robert Neumann … hat für eine Veröffentl i chung gesorgt … von der Familie Habsburg dementiert … gerichtliche Auseinandersetzungen … Sondheimer ins Gefän g nis gekommen … emigriert … eine handschriftliche Abschrift des Originalmanuskripts existiert noch … «
Marie-Claire atmete tief durch. Ob in diesem Originalmanuskript vielleicht stand, wohin der berühmte hundertsieben unddreißig-karätige Florentiner damals in der Schweiz, im Jahre 1920, verschwunden war und vor allem wer ihn gekauft hatte? War dieses geheimnisvolle Manuskript vielleicht der goldene Schlüssel zu ihren Recherchen? Stand darin vielleicht sogar, worin die Verbindung zwischen dem Florentiner und den beiden Sancy-Diamanten tatsächlich bestand? Welches Geheimnis verbarg sich hinter den einst im Besitz von Karl dem Kühnen befindlichen » drei Brüdern «? Existierte dieser legendäre Florentiner tatsächlich noch? Oder war er damals in der Schweiz zerstückelt worden? Jagte sie einer Legende hinterher?
Plötzlich wurde es Marie-Claire heiß und kalt, denn eine wichtige Frage drängte sich ihr auf: Wusste Gregor von dem Buch – und von diesem Manuskript?
K aum in Berlin gelandet, schaltete Marie-Claire de Vries ihr Handy wieder an. Während sie auf ihren Koffer wartete, starrte sie nervös auf das Display. Eine Mailbox-Nachricht und eine SMS wurden angezeigt. Die SMS war von Gregor.
» Fahre am Wochenende ins Haus an den Wörthersee. Kommst du mit? Gästezimmer zugesichert … «
» Auch das noch «, entfuhr es ihr. Das war das Letzte, womit sie gerechnet hatte. Seit dem Abendessen mit Gregor hegte sie zwiespältige Gefühle für ihn. Sie brauchte Zeit, Abstand und Ruhe, um sich über ihre Empfindungen für
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