Der Fluch des Florentiners
zum gnadenlosen Töten. In Abschussposition blieben die drei Schneiden an der Spitze des Pfeils nach hinten geklappt und wurden durch einen Gummiring dort gehalten. Beim Auftreffen würden die wie Rasierklingen geschärften Schneiden auseinander klappen. Ein solcher Pfeil würde sich wie eine rotierende Rakete in das Ziel bohren und neben der Schockwirkung erhebliche innere Verletzungen bewirken. Das Opfer würde entweder direkt sterben oder verbluten. Bei der enormen Durchschlagkraft solcher Pfeile war die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Spitze auf der anderen Seite des Körpers wieder austreten würde. Das gäbe nochmals eine tödliche Wunde. Ja, diese Pfeile waren gedacht, zu töten. Deswegen hatte er sie ausgewählt. Was ihn an dieser Waffe besonders begeisterte, war, dass sie lautlos war. Kein Brechen des Schusses, kein verräterisches Mündungsfeuer verrieten den Schützen. Das Opfer würde den rotierenden Pfeil nicht hören, so schnell flogen diese gefiederten Carbon-Dinger bei einem Zuggewicht von hundertzwanzig Kilogramm. Der Tod wäre nur ein leises Surren. Mehr nicht … Georg von Hohenstein legte einen Pfeil vorsichtig in die Führung. Mit dem Zeigefinger tippte er sanft gegen die Pfeilspitze, damit das hintere Ende direkt an der Sehne anliegen würde. Er wollte nochmals versuchen, die Wurfarme der Armbrust mit der Spannhilfe in Schussposition zu bringen, entschied sich dann aber, das Zielfernrohr erneut zu justieren. Ein weiterer Blick zwischen den Vorhängen hindurch, durch die Zieloptik hinüber zu den Arabern auf der Terrasse zeigte ihm, dass die Mattscheibe des Zielfernrohrs ihm ein optimales Ziel gab. Der Araber mit dem Handy war jetzt ins Zimmer gegangen, wo er ihn noch sehen konnte. Georg von Hohenstein grinste hämisch. Wenn er jetzt abdrückte, würde der Pfeil wie eine Nadel durch einen solchen Vorhang hindurchsausen. Der Mann im Zimmer würde getroffen umfallen, ohne dass die beiden anderen draußen auf der Terrasse es bemerkten. Vielleicht würde der Getroffene nicht einmal mehr Zeit zum Röcheln haben. Vielleicht würde er sogar die Zeit haben, einen zweiten Pfeil auf einen der Männer auf der Terrasse abzufeuern! Oder wäre es umgekehrt besser? Erst einen Schuss ins Herz einer der Männer draußen, dann die Schockwirkung des zweiten Mannes ausnutzen, seine Sprach- und Handlungsunfähigkeit angesichts seines blutüberströmten, von einem Pfeil durchbohrten Freundes ausnutzen, nachladen und einen zweiten Pfeil auf das nächste Opfer abschießen. Der andere würde bestimmt hochspringen und somit ein perfektes Ziel abgeben. Bei einer solch kurzen Distanz konnte man nicht vorbeischießen! Dann würde der Dritte aus dem Zimmer herauskommen und in Lebensgröße im Türrahmen stehen. Drei auf einen Schlag! Das war nur mit einer solchen Waffe möglich.
Georg von Hohenstein richtete sich abrupt auf. Als wolle er die grausamen Gedanken der letzten Minuten ausmerzen, schüttelte er sich. Er war angewidert von sich selbst, schämte sich plötzlich für das, was ihm durch den Kopf gegangen war. Was war los mit ihm? Wie konnte er nur solch brutale, menschenverachtende und zynische Gedanken haben? Nein, das war er nicht. Er war kein eiskalter Killer, der den To d m ehrerer Menschen plante. Er hatte nicht wirklich Freude an dem, was er hier tat. Er war kein Mörder! Er war immer ein friedliebender Mensch gewesen. Erinnere dich, warum du hier bist, durchfuhr es ihn. Diese Männer da drüben mochten Diebe, Räuber sein, aber sie waren Menschen. Sie hatten ihm nichts getan, auch wenn sie offensichtlich zu einer Bande gehörten. Doch das war Aufgabe der Polizei. Er war nur aus einem einzigen Grund hier und nur aus einem einzigen Grund bereit zu töten: Er wollte den Kleinen, den Schmächtigen, der Klara vergewaltigt hatte! Ihn wollte er töten. Das konnte er nur, weil es seine einzige Hoffnung war, dem Leben wieder einen Hauch von Perspektive zu geben. Wieder schaute Georg von Hohenstein durch das Zielfernrohr. Entsetzt riss er die Augen auf. Was war das auf einmal?
» Verdammte Scheiße! Mist, verfluchter … «, zischte er. Die Mattscheibe des Zielfernrohrs begann milchig-trüb zu verlaufen. Das Ziel, die Terrasse, der Oleanderbusch, die Männer hinter dem Busch verschwammen. Er konnte sie nur noch schemenhaft erkennen. Alles verlief sich in Grautönen mit Kreisen um das Fadenkreuz herum. Verwirrt starrte er über das Zielfernrohr hinweg zur gegenüberliegenden Terrasse. Dann sah er, was geschah. Die
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