Der Fluch des Khan
rasch dorthin zurück, tastete mit der rechten Hand hinter sich und ergriff unauffällig eine der Stangen. Der Wachmann bemerkte die Bewegung, dachte sich aber nichts dabei, sondern senkte den Speer und setzte zum nächsten Angriff an. Pitt wartete, bis er nur noch zehn Schritte entfernt war, dann zog er die Stange heraus, riss sie nach vorn und brachte sie in Anschlag. Mit gut zweieinhalb Metern war sie viel länger als der Speer. Der Wachmann warf ihm einen verständnislosen Blick zu, versuchte dann aber seinen Angriff abzubrechen, als ihm klar wurde, dass Pitt mit dem großen Holzstab auf ihn losgehen wollte. Zu spät – Pitt stieß mit aller Kraft zu und rammte ihm das stumpfe Ende der Stange in die Magengrube. Der erschrockene Wachmann wurde von den Beinen gerissen, sank auf die Knie und röchelte nach Luft. Gleichzeitig fiel ihm der Speer aus der Hand und rollte über den Steinboden. Verzweifelt und ohne auf Pitt zu achten, kroch er hinter der Waffe her, blickte dann aber entsetzt auf. Pitt hatte die Stange mittlerweile umgedreht und hieb jetzt mit dem Marmorfuß nach ihm. Der Wachmann versuchte sich noch zu ducken, wurde aber am Schädeldach getroffen und stürzte bewusstlos zu Boden.
»Keinerlei Respekt vor dem Mobiliar anderer Leute«, grummelte Giordino, als die Stange samt dem Marmorfuß auf den Boden krachte. Pitt blickte zu ihm hin und sah, dass er über dem ebenfalls besinnungslosen ersten Wachmann stand und sich den Handrücken rieb.
»Geht’s dir gut?«
»Jedenfalls besser als meinem Freund hier. Was hältst du davon, wenn wir so schnell wie möglich von hier abhauen, bevor noch mehr Pikeniere aufkreuzen?«
»Einverstanden.«
Pitt bückte sich rasch und ergriff einen der herumliegenden Speere, dann stürmten die beiden Männer aus der Kammer. Der Wind heulte durch den Torbogen, als sie sich zum Eingang begaben und vorsichtig auf das Gelände spähten. Der Anblick war alles andere als ermutigend.
Zwei Reiter mit leuchtenden Seidengewändern und runden Eisenhelmen hatten offenbar das Fußvolk abgelöst und saßen jetzt hoch zu Ross nahe dem Eingang des Wohngebäudes. Ganz in der Nähe kämmte ein weiterer berittener Wächter den Innenhof nach Pitt und Giordino ab. Die beiden Männer waren sich darüber im Klaren, dass es nichts nützte, wenn sie hier weiter verharrten. Im Schutze einer aufgewirbelten Staubwolke huschten sie auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Bogengang und wollten zur Rückseite des Mausoleums schleichen. Als sie vorsichtig vorrückten, konnten sie den rechten Flügel des Herrenhauses einsehen, um dessen Ecke gerade ein halbes Dutzend Reiter in bunten Gewändern kam und genau auf sie zuhielt. Im Gegensatz zu den Wachen, denen sie bislang begegnet waren, hatten diese Männer allem Anschein nach Gewehre um die Schulter hängen.
»Die Kavallerie hat uns grade noch gefehlt«, sagte Giordino.
»Damit ist unser Fluchtweg ein bisschen offener«, erwiderte Pitt, der sich darüber im Klaren war, dass sie möglichst schnell den Innenhof überqueren und sich bis zu dem Weg, auf dem sie gekommen waren, durchschlagen mussten, wenn sie der Patrouille entgehen wollten.
Sie kamen zu der Scheune auf der Rückseite der Krypta, huschten hinein und wollten sich auf der anderen Seite wieder herausschleichen. Während sie sich zwischen den Kisten und Geräten hindurchzwängten, warf Pitt einen kurzen Blick auf einen eingestaubten Oldtimer, der im hinteren Teil stand, und stellte erstaunt fest, dass es sich um einen Rolls-Royce aus den frühen zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts handelte.
Er wollte gerade zur gegenüberliegenden Wand gehen, als etwas an seinem Ohr vorbeipfiff und mit einem dumpfen Laut einschlug. Er warf einen Blick zur Seite und sah einen Pfeil, der zitternd in einer Holzkiste unmittelbar neben Giordinos Kopf steckte.
»Deckung«, brüllte er und zog den Kopf ein, als ein zweiter Pfeil vorbeischwirrte.
Giordino kauerte bereits hinter einem Holzfass, als sich das Geschoss in einen der Stützpfosten bohrte. »Ein vierter Reiter?«, sagte Giordino, während er über das Fass hinwegspähte.
Pitt warf einen Blick auf den Hof und sah den Reiter, der neben einer Hecke stand, die Bogensehne durchzog und gerade einen dritten Pfeil abfeuern wollte. Diesmal zielte er auf Pitt, der gerade noch hinter einen Wagen hechten konnte, bevor das Geschoss vorbeipfiff. Kaum hatte es eingeschlagen, als Pitt aufsprang und auf den Wachmann losging. Jetzt war er am Zug.
Als der Reiter
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