Der Fluch des Khan
den Tempel zurückkehren. Machen Sie es sich bitte bequem und leisten Sie uns bei Sonnenuntergang beim Abendessen Gesellschaft.«
Der Lama wandte sich um und schritt mit seinem im Wind wogenden roten Gewand zum Tempel. Pitt und Giordino stiegen ein paar Stufen hoch und traten in den Lagerraum, einen schmalen fensterlosen Bau mit hoher Decke. Sie mussten eine riesige Eisenglocke umgehen, die unmittelbar hinter der Tür stand, ein Überbleibsel aus alter Zeit, das noch darauf wartete, dass es hier wieder einen Glockenturm gab. Dahinter waren an der einen Wand Mehl, Nudeln, Tee und andere Lebensmittel gestapelt, an der anderen standen Körbe mit Decken und Pelzen, die für die kalten Wintermonate hier verwahrt wurden. Ganz hinten, unter einem Gemälde von Sakyamuni, dem im Schneidersitz auf einem Lotusblütenthron hockenden Buddha, entdeckten sie mehrere mit Segeltuch bespannte Feldbetten.
»Schon seltsam: Er wusste, dass wir in der Gegend sind«, sagte Pitt.
»Die Wüste ist klein«, erwiderte Giordino. »Sieh’s doch mal positiv. Wir müssen nicht auf dem Boden schlafen und haben jede Menge Zeit zum Ausruhen, bis unsere Mitfahrgelegenheit aufkreuzt. Ich jedenfalls möchte meine neue Unterkunft am liebsten gleich ausprobieren«, sagte er und legte sich auf eins der Feldbetten.
»Ich muss erst noch ein bisschen lesen«, erwiderte Pitt und ging zur Tür, bevor Giordino losschnarchte.
Er setzte sich auf die Vortreppe, betrachtete nachdenklich den alten Tempel und das staubige Tal, das sich dahinter erstreckte.
Dann öffnete er den Rucksack und las das Tagebuch von Dr. Leigh Hunt.
32
W iedersehn, Dirk, und viele Grüße an Ihren Freund Al.«
Nojon stürmte die Treppe herauf und verbeugte sich.
Pitt stand auf, schüttelte dem Jungen die Hand und wunderte sich einmal mehr, wie reif er für seine zehn Jahre wirkte.
»Mach’s gut, mein Freund«, erwiderte Pitt. »Hoffentlich sehen wir uns mal wieder.«
»Ja. Das nächste Mal reitet ihr auf Kamelen.« Der Junge grinste und rannte dann den Fußweg entlang zum wartenden Schulbus. Die Tür schloss sich hinter ihm, dann röhrte der alte Bus die Hügelkuppe empor und der untergehenden Sonne entgegen.
Der Krach hatte Giordino geweckt, der auf die Treppe getrottet kam und die Arme hochreckte.
»Sind Nojon und die anderen Kinder schon auf dem Heimweg?«, fragte er, als er den Bus hinter dem Hügel verschwinden sah.
»Er ist gerade vorbeigekommen und hat sich verabschiedet.
Ich soll dir ausrichten, dass sein bestes Kamel jederzeit für einen Ausritt zur Verfügung steht.« Pitt vertiefte sich wieder in Hunts Tagebuch.
»Wie sind die intimen Bekenntnisse unseres mumifizierten Archäologen?«
»Kaum zu glauben«, sagte Pitt.
Giordino sah Pitts ernsten Blick und setzte sich auf die Treppe.
»Was hast du entdeckt?«
»Dr. Hunt, sein mongolischer Assistent und ein Trupp chinesischer Arbeiter haben in Nordchina die Überreste einer versunkenen Stadt namens Shang-tu ausgegraben.«
»Nie gehört.«
»Vielleicht kennst du sie unter ihrem im Westen gebräuchlichen Fantasienamen … Xanadu.«
»Nicht noch mehr«, grummelte Giordino kopfschüttelnd.
»Gab’s das wirklich?«
»Eindeutig. Es war der Sommerpalast von Khubilai Khan. Er hat die Hütte rund hundertzwanzig Meilen nordwestlich von Peking bauen lassen, um der Sommerhitze in der Hauptstadt zu entrinnen. In der Umgebung lag ein ummauertes Jagdrevier und daneben eine Stadt mit mehr als hunderttausend Einwohnern.
Als Hunt hinkam, war nicht mehr als ein Haufen Felsen und Staub auf einer menschenleeren Ebene übrig.«
»Dann stammen die Artefakte in der Maschine also aus der Zeit des Khubilai Khan. Die müssen ein kleines Vermögen wert sein. Jedenfalls die wenigen Sachen, die beim Absturz des Flugzeugs nicht zu Bruch gegangen sind.«
»Durchaus möglich. Obwohl Hunt selbst von der Ausbeute enttäuscht war. Er schreibt, dass er bis zum letzten Tag der Ausgrabungen nichts Bedeutendes gefunden habe. Aber dann wurden dein Holzkästchen und das Gepardenfell freigelegt.«
Pitt hatte das offene Holzkästchen mit dem Gepardenfell und der Bronzeröhre neben sich stehen. Er holte zuerst das Fell heraus.
»Hunt hat das Gepardenfell kaum erwähnt, aber schau dir das an«, sagte er, breitete das Fell aus und drehte es um. Auf der Rückseite befanden sich acht kleine Gemälde in einzelnen Kästchen. Auf dem ersten Bild war eine große chinesische Dschunke zu sehen, die gefolgt von zwei kleineren Booten einen Fluss
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