Der Fluch des Khan
Steuermann.
Howard nickte lediglich, und kurz darauf wurde das mächtige Schiff an seinen Liegeplatz vor Sea Island gezogen. Über eine Reihe großer Rohre wurde schwarzes Rohöl in die leeren Tanks des Schiffes gepumpt, das immer tiefer ins Wasser sank.
Während sie vor dem Terminal lagen, wurde Howard etwas gelöster, wusste er doch, dass er seine Pflicht zumindest für die nächsten paar Stunden erfüllt hatte.
Es war fast Mitternacht, als er aus kurzem Schlaf erwachte und sich mit einem Spaziergang über das Vordeck des Tankers die Beine vertrat. Die
Marjan
war nahezu voll beladen und konnte mühelos und wie geplant um drei Uhr morgens auslaufen und ihren Liegeplatz an der Pumpstation für den nächsten Supertanker räumen. Das Tröten eines Schleppers in der Ferne verriet ihm, dass ein Tanker, der ein Stück weiter abwärts lag, mit der Ölübernahme fertig war und sich zum Ablegen bereitmachte.
Während er die funkelnden Lichter entlang der arabischen Küste betrachtete, fuhr er plötzlich zusammen, als die »Delphine« an den Rumpf des Tankers stießen. Diese gepolsterten Stützen, die entlang der Liegeplätze von Sea Island angebracht waren, sollten die Seitwärtsbewegung der Schiffe abfedern, während sie am Terminal beladen wurden. Doch dann wurde ihm klar, dass das Scheppern der Delphine nicht nur von unten kam, sondern durch die ganze Hafenanlage hallte. Er trat an die Bordwand, beugte sich hinaus und schaute am Kai entlang.
Bei Nacht leuchtete Sea Island mitsamt den dort liegenden Supertankern wie ein Weihnachtsbaum. Im Schein der zahllosen Lampen sah Howard, dass sich der Terminal selbst hin und her bewegte und an die Seitenwände der Tanker stieß. Das ist doch Unsinn, dachte er. Der Verladepier war fest im Meeresboden verankert. Nur die Schiffe, die an ihren Liegeplätzen vertäut waren, konnten sich bewegen. Doch als er am Terminal entlangblickte, sah er, dass es sich wie eine Schlange wand, an die Seitenwand eines Tankers stieß, dann an den nächsten.
Die Schläge der Fender wurden immer lauter, bis sie wie Donnerhall an die Schiffe hämmerten. Howard, der nicht recht begreifen konnte, was hier vor sich ging, umfasste die Reling, bis seine Knöchel weiß anliefen. Erschrocken starrte er auf die vier Ladearme, jeder vierundzwanzig Zoll stark und sah, wie einer nach dem anderen abriss und nach allen Seiten einen Schwall Rohöl ausspie. Dann ertönte ganz in der Nähe ein gellender Schrei, und Howard entdeckte einen Pumpeningenieur, der sich mit aller Kraft an dem schaukelnden Terminal festklammerte.
Soweit das Auge reichte, wogte und schwankte der stählerne Verladepier wie eine gigantische Schlange und schlug an die mächtigen Schiffe. Alarmglocken schellten los, als eine Pumpleitung nach der anderen abriss und sich aus jeder ein schwarzer Strom über die Seitenwände der Schiffe ergoss. Ein Stück weiter vorn ertönten Hilferufe, und als Howard in diese Richtung schaute, sah er zwei Männer mit gelben Schutzhelmen schreiend über den Terminal rennen, während hinter ihnen allmählich die Lichter erloschen. Einen Moment lang stand Howard mit weit aufgerissenen Augen da, bis ihm klar wurde, dass Sea Island im Meer versank.
Das Hämmern am Rumpf der
Marjan
wurde heftiger, so als zertrümmerten die Delphine die Seitenwand des Tankers. Zum ersten Mal nahm Howard ein tiefes Grollen wahr, das offenbar von tief unten kam. Es wurde lauter, schwoll einige Sekunden lang zu einem Röhren an und brach dann ebenso rasch wieder ab. Stattdessen hörte er jetzt die verzweifelten Schreie von Männern, die am Terminal entlangrannten.
Howard musste an ein einstürzendes Kartenhaus denken, als die Fundamente des Terminals nachgaben und die meilenlange Insel nach und nach im Meer versank. Dann hörte er die schrecklichen Schreie der Männer im Wasser, und sein Entsetzen schlug in Sorge um sein Schiff um. Er rannte los, hakte ein Walkie-Talkie vom Gürtel und rief in vollem Lauf zur Brücke hin.
»Kappt die Vertäuleinen! Kappt um Gottes willen die Vertäuleinen!«, befahl er. Er spürte, wie ihm das Adrenalin ins Blut schoss und die lähmende Angst vertrieb, während er in halsbrecherischem Tempo über das Deck raste. Er war noch hundert Meter vom Brückenhaus entfernt, als seine Beine zum ersten Mal vor Krämpfen schmerzten. Aber langsamer wurde er trotzdem nicht, nicht einmal, als er über einen glitschigen Strom aus Rohöl springen musste, der sich über das Deck ergossen hatte.
»Sagt … dem …
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