Der Fluch des Khan
Chefmaschinisten … wir brauchen … volle Kraft … sofort«, krächzte er in das Funkgerät, während seine Lunge wie Feuer brannte.
Als er die Heckaufbauten des Tankers erreichte, lief er sofort die nächste Treppe hinauf, ohne den Aufzug zu nehmen, der in einer anderen Ebene stand. Er stieg die acht Etagen zur Brücke empor und fasste neuen Mut, als er plötzlich das Pochen der Schiffsmaschinen unter den Füßen spürte. Als er auf die Brücke torkelte und zum Fenster ging, sah er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Unmittelbar vor der
Marjan
hatten noch vor wenigen Minuten paarweise Supertanker einander gegenübergelegen, nur durch den Pumpenterminal von Sea Island voneinander getrennt. Aber jetzt war der Terminal verschwunden, dreißig Meter tief im Persischen Golf versunken. Die Vertäuleinen der Supertanker aber waren noch am Liegeplatz festgemacht, und der sinkende Terminal zog sie mit aller Kraft aufeinander zu. Howard sah, wie die Lichter der beiden Tanker vor ihm miteinander verschmolzen und hörte dann laut aufkreischendes Metall, während die Bordwände aneinanderschrammten.
»Volle Fahrt zurück«, rief Howard seinem Ersten Offizier zu.
»Wie sieht’s mit den Vertäuleinen aus?«
»Die Achterleinen sind klariert«, erwiderte Jensen, der angespannt wirkte. »Ich warte noch auf Meldung von den Bugleinen, aber die beiden letzten sind offenbar noch festgemacht«, fügte er hinzu und richtete das Fernglas auf zwei Leinen am Steuerbordbug, die immer noch straff gespannt waren.
»Die
Ascona
treibt auf uns zu«, sagte der Steuermann und deutete mit dem Kopf nach rechts.
Howard folgte seinem Nicken und warf einen Blick auf das unter griechischer Flagge fahrende Schiff, das neben ihnen lag, ein schwarz-rot gestrichener Supertanker, der mit seinen dreihundert Metern etwa genauso lang war wie die
Marjan
.
Ohnmächtig standen die Männer auf der Brücke der
Marjan
und starrten atemlos auf den Griechen. Dann endlich legten die mächtigen Schrauben unter ihnen los und verwirbelten das Wasser mit wilder Wut, während die Maschinen auf Hochtouren kamen.
Zunächst war die Bewegung kaum wahrnehmbar, dann aber kroch das mächtige Schiff langsam zurück, blieb einen Moment lang liegen, als sich die Vertäuleinen am Bug strafften. Dann rissen die Trossen, und das Schiff schob sich weiter rückwärts.
Die an Steuerbord liegende
Ascona
kam näher. Der in Korea gebaute Tanker war voll beladen und lag gut anderthalb Meter tiefer im Wasser als die
Marjan.
Howard kam es so vor, als könnte er mit einem Schritt von einem Schiff zum andern steigen.
»Zwanzig Grad Steuerbord«, befahl er. Er wollte schräg von dem Tanker wegkommen. Howard hatte die
Marjan
gut hundert Meter von dem versunkenen Terminal weggelotst, aber nicht weit genug, um dem querab treibenden Tanker zu entrinnen.
Der Zusammenstoß war leichter, als Howard erwartet hatte, im Ruderhaus so gut wie gar nicht zu spüren. Er hörte nur ein tiefes, lang gezogenes Knirschen, als die Stahlplatten aufeinandertrafen. Der Bug der
Marjan
befand sich fast mittschiffs von der
Ascona,
als die beiden Tanker kollidierten. Doch da Howard mit voller Kraft zurückfahren ließ, wurde beim Aufprall ein Großteil der Wucht abgefangen. Eine halbe Minute lang schrammte der Bug der
Marjan
an der Backbordwand des anderen Tankers entlang, dann kamen die beiden Schiffe wieder frei.
Howard ließ sofort die Maschinen stoppen und zwei Rettungsboote ausbringen, die im Wasser nach Hafenarbeitern suchen sollten. Dann setzte er das Schiff vorsichtig weitere dreihundert Meter zurück und sah sich das ganze Chaos an.
Alle zehn Supertanker waren beschädigt. Zwei der großen Schiffe hatten sich derart ineinander verkeilt, dass es mindestens zwei Tage dauern würde, bis man sie trennen konnte, selbst wenn man ganze Heerscharen von Schweißern einsetzte. Drei Schiffe, deren doppelte Rumpfplatten zerschlagen waren, hatten stark Schlagseite und verströmten Tausende Tonnen Rohöl in den Golf. Die
Marjan
indessen war mit geringfügigen Schäden davongekommen, und dank Howards schneller Reaktion war keiner ihrer Tanks in Mitleidenschaft gezogen worden. Doch seine Erleichterung über die Rettung des Schiffes war nur von kurzer Dauer, denn kurz darauf hallte eine Reihe dumpfer Schläge über das Wasser des Golfs.
»Sir, das ist die Raffinerie«, sagte der Steuermann und deutete auf die Küste im Westen. Ein orangener Glutschein tauchte am Horizont auf, der sich zu einer aufgehenden
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