Der Fluch des Khan
seinem Posten und starrte auf das rostige Schiff, das sich jeden Moment in ihren Rumpf bohren konnte.
Doch der Zusammenstoß blieb aus. In letzter Sekunde drehte das brennende Schiff erneut nach Backbord ab und verfehlte den Supertanker nur um wenige Meter, zog dann parallel an ihm vorbei und hielt auf den angrenzenden Anleger zu. Auf diesem Terminal, eine halb im Wasser schwimmende hölzerne Rampe auf zusammenklappbaren Stützen, die hundertachtzig Meter weit in den Hafen ragte, befanden sich Rohre und Pumpen, die zum Löschen des Rohöls dienten.
Der rostige Seelenverkäufer, dessen ganzes Vorschiff mittlerweile in Flammen gehüllt war, fuhr schnurgerade weiter. Er wurde auch nicht langsamer, sondern schien sogar eher mehr Fahrt zu machen. Der Bug des Schiffes rammte das Ende des Terminals, schnitt hindurch, als wäre er aus Streichhölzern, und schleuderte nach allen Seiten Trümmer davon. Eine Stütze nach der anderen barst, ohne das voranpflügende Schiff aufzuhalten.
Etwa hundert Meter weiter vorn standen mehrere Besatzungsmitglieder, die von dem großen Tanker geflüchtet waren, wie angewurzelt auf der Gangway und wussten nicht, wohin sie sich in Sicherheit bringen sollten. Ein paar Sekunden später brach das Schiff auch durch die Gangway und riss, in Rauch und Flammen gehüllt, ein Gewirr aus Stahlfetzen, Holz und Menschen ins Wasser, wo sie binnen kürzester Zeit unter den wirbelnden Schrauben verschwanden.
Das Schiff fuhr weiter, wurde aber endlich durch die ineinander verkeilten Trümmer, die sich vor dem Bug türmten, etwas langsamer. Doch der alte Frachter hatte Stehvermögen. Mit letzter Kraft pflügte er weiter voran, zermalmte den einzigen Stützpfeiler, der noch stand, und bohrte sich dann in die Lager und Hafenanlagen. Ein Donnerschlag hallte über die Insel, begleitet von einer schwarzen Qualmwolke, als das Schiff endlich liegen blieb. Alle, die das Werk der Zerstörung mit angesehen hatten, atmeten erleichtert auf und meinten, das Schlimmste wäre überstanden. Aber dann drang ein dumpfer Knall aus dem Bauch des Schiffes, und der Bug flog in einer orangenen Feuerwand davon. In Sekundenschnelle stand alles in Flammen, die in dem ausgelaufenen Rohöl, das um das Schiff schwappte, reiche Nahrung fanden. In Windeseile breitete sich das Feuer auf den Öllachen bis zu den Anliegeplätzen aus und erfasste den dort vertäuten Tanker. Im Nu war die ganze Insel in dicken, schwarzen Qualm gehüllt, der das flammende Inferno verbarg.
Fassungslos sah Zhou von der anderen Seite der Bucht aus zu, wie die Flammen über die Hafenanlage fegten. Dann starrte er auf den schrottreifen Frachter, der immer tiefer sank und dann endlich kenterte, durch das Feuer inwendig zerschmolzen. Und er versuchte zu begreifen, was für ein selbstmörderischer Irrer zu einer solchen Wahnsinnstat fähig sein könnte.
Rund anderthalb Kilometer von Zhous Standort entfernt tuckerte ein verblichenes weißes Motorboot langsam von der Insel Cezi fort. Am Bug lag, unter einer tiefhängenden Segeltuchplane verborgen, ein Mann mit kaffeebrauner Haut, der das Flammenmeer an Land durch ein kleines Teleskop betrachtete, das an einem Laserzielgerät befestigt war. Mit einem zufriedenen Grinsen besah er sich das Chaos, nahm dann das Lasersichtgerät und den dazugehörigen Sender auseinander, mit dem er kurz zuvor noch per Funk die Steuerbefehle an die automatische Navigationsanlage des rostigen Schiffes durchgegeben hatte. Als dichter Rauch übers Wasser zog, wuchtete der Mann einen schweren Edelstahlkoffer über die Bordwand und ließ ihn behutsam aus den Fingern gleiten. Wenige Sekunden später lag der Koffer samt den Hightech-Geräten für immer unter einer zehn Zentimeter dicken Schlammschicht am Grund des Hafenbeckens von Ningbo.
Der Mann wandte sich an den Steuermann des Bootes und zeigte dabei eine lange Narbe, die sich über die linke Gesichtshälfte zog.
»Zum Bootshafen«, befahl er leise. »Ich muss mein Flugzeug erwischen.«
Anderthalb Tage tobten die Brände, bis die Hafenfeuerwehr die Flammen unter Kontrolle bekam. Der Tanker wurde von drei prompt reagierenden Schlepperkapitänen gerettet. Sie liefen das Schiff durch das lodernde Wasser an und bugsierten es in die Bucht, wo die Brände an Bord rasch gelöscht werden konnten.
Die Anlagen an Land hatte es schlimmer getroffen. Der Terminal auf Cezi war völlig zerstört, zehn Ölarbeiter waren ums Leben gekommen und ein halbes Dutzend Besatzungsmitglieder des Supertankers wurden
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