Der Fluch des Koenigs
Blick zum Schweigen. „Wir laufen erst seit wenigen Stunden. Reiß dich zusammen.“
Moa wusste nicht, was sie sagen sollte, denn sie hatte noch nie über längere Strecken laufen oder gar Hunger und Durst aushalten müssen. Im Schloss hatten zahlreiche Bedienstete ihr jeden Wunsch erfüllt, noch ehe sie ihn äußern konnte. Sie fühlte sich nicht wie sie selbst und verstand die Welt nicht mehr.
Joesin wollte nach ihrer Hand greifen. Hastig entzog Moa sich seinem Griff.
Er schaute ungerührt zurück. „Hoheit“, sagte er wie zu einem Kind. „Ich habe weder Zeit noch Nerven, für deine Zicken.“
Moa warf ihm einen wütenden Blick zu und machte einen Schritt auf ihn zu. Woher sie ihren plötzlichen Mut nahm, war ihr ein Rätsel. „Caruss hat sicher schon von meiner Entführung erfahren.“ Zufrieden betrachtete sie, wie der Name des Königs von Cinann Joesin innehalten ließ. „Er wird seine Aschewesen hinter dir herschicken.“ Sie stemmte die Arme auf die Hüfte und sah ihn herausfordernd an. „Sie reisen bei Nacht schneller als der Wind. Sobald die Sonne gesunken ist, werden sie kommen und dich vernichten, noch bevor du ihre Gegenwart auch nur erahnen kannst.“
Joesins Blick bohrte sich in ihren. „Glaub mir“, sagte er düster. „Du willst nicht, dass sie uns erreichen.“
Mit den Worten packte er sie am Arm und zog sie kurzerhand hinter sich her.
Moa wehrte sich nicht. Alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen, denn Joesin hatte Recht gehabt. Sie wollte Caruss seelenlosen Dienern auf keinen Fall begegnen, selbst wenn sie kamen, um sie zu befreien.
Zur Mittagszeit hielten sie endlich an. Sobald Joesin sie losließ, fiel Moa erschöpft auf den Boden. Einige Herzschläge zu spät wurde ihr bewusst, dass der Untergrund viel zu nass geworden war, um darauf sitzen zu können. Mit einem angeekelten Schrei fuhr sie hoch und befühlte die feuchte Unterseite ihrer Hose.
Joesin sah nicht einmal auf. „Wir sind hier sehr nahe an einem der Flussausläufer“, erklärte er. „Früher oder später werden wir ein oder zwei von ihnen durchqueren müssen. Dabei wird mehr als das da nass werden“, ergänzte er mit einem Blick auf ihre feuchte Hose.
Moa fasste sich an den Hals. „Nein“, keuchte sie. „Das ... das ist unmöglich.“
Ohne ihre Reaktion zu beachten, ging Joesin in die Hocke und wühlte in seinem Bündel. Es kamen zwei Äpfel, ein Laib Brot und ein Stück Käse zum Vorschein. Bei dem Anblick lief Moa das Wasser im Mund zusammen. Sie vergaß ihre nasse Hose und die Flüsse augenblicklich und bückte sich zu Joesin herunter, um nach dem Essen zu greifen. Geschickt zog er es vor ihr zurück.
„Na, na, Prinzessin. Wo sind Eure Tischmanieren?“
Moa starrte ihn an. Sie hätte am liebsten erneut nach ihm geschlagen, doch der kleine dunkelrote Striemen unter seinem Auge hielt sie davon ab.
„Wieso essen wir erst jetzt?“, fauchte sie stattdessen und ging vor ihm in die Hocke. Ihr war bewusst, dass ihre Feindseligkeit sicher wirkungsvoller wäre, würde sie nicht hungrig auf das Brot und den Käse stieren, die Joesin mit einem Dolch in kleine Häppchen teilte. Viel zu klein nach ihrem Ermessen. Er schlug den restlichen Proviant in Ölpapier ein und verstaute ihn in dem Bündel.
Moas Ration war viel zu schnell verschlungen. Sie versuchte, sich mit dem Apfel mehr Zeit zu lassen. Vergeblich. Traurig blickte sie auf ihre leeren Hände und dachte an das Festmahl der letzten Nacht, das sie nicht einmal angerührt hatte. Es schien ihr unendlich weit weg.
Der Rest des Tages verlief schweigend. Als die Strahlen der Sonne in ihrem Rücken sich rötlich verfärbten und der Himmel dunkler wurde, seufzte Moa erleichtert auf. Bald würde sie rasten können. Ihre Füße fühlten sich wund an, ihre Beine schmerzten und das dumpfe Pochen in ihrem Schädel war im Laufe des Tages angeschwollen. Doch sie wagte sich nicht, etwas zu sagen.
Die ersten Sterne zeigten sich bald darauf am Himmel und die Luft kühlte ab. Die Geräusche des Tages, das Zwitschern der Vögle und das Summen und Zirpen der Insekten, flohen aus dem Schilf und ließen sie in Stille gehüllt zurück. Das einzige, was Moa hörte, waren ihre eigenen Schritte auf dem feuchten Untergrund, das Klopfen ihres Herzens und das Rascheln der Schilfrohre, wenn sie sie zur Seite bog und sie an ihrer Haut und an den Kleidern entlangschabten.
Moa unterdrückte ein Frösteln. Langsam bekam sie Angst, dass Joesin gar nicht vorhatte anzuhalten.
Ihre Angst
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