Der Fluch des Koenigs
eines von Caruss verhassten Dienern besiegt hatte. Vielleicht war es einfach der Schock des Angriffes. Dennoch zögerte sie, ehe sie sich näher an Rach heranwagte. Joesins Hand schwebte vor ihr. Moa atmete einmal tief durch und ergriff sie. Schwungvoll zog Joesin sie vor sich auf den Rücken des Greifen und legte einen Arm locker um ihre Taille.
„Nur, bis wir in der Luft sind“, sagte er leise und räusperte sich.
Hitze stieg Moa ins Gesicht und sie war froh, dass Joesin sie nicht sehen konnte. Vorsichtig verlagerte sie ihr Gewicht und rutschte dabei unbeabsichtigt näher an ihn heran. Joesin verstärkte seinen Griff um ihre Taille und zog sie sanft an seine Brust.
„Jetzt bloß nicht loslassen“, flüsterte er ihr ins Ohr.
Sie konnte das Grinsen auf seinem Gesicht förmlich sehen.
Der Greif kauerte sich sprungbereit zusammen und stieß sich mit einem hellen Schrei vom Boden ab. Moa krallte ihre Finger in seine Federn und fühlte, wie sie in die Luft geschleudert wurde. Links und rechts von ihr entfalteten sich gewaltige Schwingen und trugen sie mit kraftvollen Schlägen dem Nachthimmel entgegen.
Sobald der Greif an Höhe gewonnen hatte, flog er eine leichte Kurve und wandte sich nach Osten. Moa sog erschrocken die Luft ein und klammerte sich noch fester an sein Gefieder. Hinter sich hörte sie Joesin leise lachen. Das Geräusch war so ungewohnt in ihren Ohren, dass sie es zuerst nicht einordnen konnte.
Dann waren sie so hoch, dass sie die Schilfebenen in all ihrer Pracht erfassen konnte. Der Anblick schlug sie in seinen Bann. Der Flussarm, den sie am Mittag überquert hatten erschien auf einmal lächerlich schmal, wie er sich seinen Weg nach Süden durch das Schilf schlängelte. Im Westen zogen sich die Gipfel der Berge, die das Tal der tausend Flüsse eingrenzten am Horizont entlang. Doch Moas Blick auf das Gebirge war nur flüchtig. Unzählige Flussarme zogen ihre gewundenen Bahnen durch das Meer aus Schilf und an den größeren Läufen konnte Moa sogar einige Nachtankerplätze ausmachen, an denen Schiffe und Boote lagen. Klein wie Ameisen.
Staunend beugte Moa sich, so weit sie es wagte, über den Hals des Greifen, um die ganze Schönheit der Ebenen in sich aufnehmen zu können. Kühle Böen peitschten ihr durchs Haar und die Ärmel ihres Hemdes flatterten um ihre Arme, doch Joesins Körper wärmte sie und so machte der Flugwind ihr nichts aus.
Das Wassernetz unter ihr erinnerte Moa an das grüne Seidenband, das er um ihr Handgelenk geknüpft hatte. Unwillkürlich schaute sie auf ihre Hände, wo sie in Rachs Gefieder verschwand.
Nachdem sie eine Weile ruhig geflogen waren, nahm Joesin seinen Arm von ihrer Taille. Moa strauchelte. „Nicht“, rief sie erschrocken und Joesins Arm legte sich wieder um ihre Mitte.
„Ganz ruhig, Prinzessin. Ich lasse dich nicht fallen.“ Wie zum Beweis zog er sie näher an sich heran und beugte sich ein wenig nach vorne um dem schärfsten Wind zu entgehen.
Moa spürte seinen Atem in ihrem Nacken und eine kleine Gänsehaut jagte über ihren Rücken.
„Wie lange werden wir fliegen?“
„Die halbe Nacht hindurch. Versuch zu schlafen. Wenn wir die Ebenen hinter uns haben, werden wir an einem sicheren Ort rasten können.“
Moa blickte auf die kunstvoll verwobenen Flussläufe herab, in denen sich das Licht der Sterne spiegelte und musste wieder an das grüne Seidenband denken.
„Ich möchte nicht schlafen“, sagte sie und verfolgte mit den Augen den Widerschein des Mondes auf den Wasserflächen. „Es ist zu schön.“
Kapitel 5
Moa erwachte in einem weichen Bett. Direkt vor ihrer Nase befand sie eine Holzwand, an der der Schein eines Feuers, das in ihrem Rücken knackte, entlanghuschte. Auf der anderen Seite der Wand tobte ein Sturm; heftige Böen fegten heulend um die Hütte und Regen trommelte gleich zornigen Wurfgeschossen auf das Dach ein. Moa streckte eine Hand aus und fuhr über die raue Maserung des Holzes, das sie von dem Unwetter trennte.
„Ich will, dass du mir diesen Irrsinn erklärst.“
Moa schreckte auf. Die Stimme war ihr fremd. Sie hörte sich an, als würde sie zu einer Frau gehören, einer älteren Frau, wenn man nach dem leicht rauen Klang urteilte. Anscheinend versuchte sie zu flüstern, war jedoch zu aufgebracht, um sich zu beherrschen. Mit klopfendem Herzen zog Moa ihre Hand von der Holzwand zurück und lauschte.
„Ich musste mich schnell entscheiden.“
Joesins Stimme. Eine seltsame Mischung aus Angst und Erleichterung
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