Der Fluch des Koenigs
ausstreckt, werden die Sterbenden mit dieser Masse am ganzen Körper bedeckt. Der Prozess dauert Wochen, manchmal Monate und es ist schlimmer, als die Folter die sie zuvor ertragen mussten.“
Ein durchdringender Schrei, halb menschliches Flehen, halb Todeshauch, schnitt durch die Höhle. Das, was einst ein Mann gewesen war, wand sich, zuckte und brodelte, als die Schatten sich aus seinem Mund ergossen und über seinen Körper ausbreiteten, um ihn zu verschlingen. Mit einem zufriedenen Ausdruck auf den Gesichtern ließen die Alchemisten von ihm ab und traten zurück.
Der Blick des Gefolterten traf Moas. Plötzlich lag er still und starrte sie an. Seine Lippen formten Worte, doch jeder Laut wurde von den Schreien der anderen Gefangenen übertönt. Ein so verzweifeltes Flehen lag in seinen Augen, dass Moa nicht anders konnte, als näher zu treten.
Ehe sie sich versah, stand sie am Käfig und streckte eine Hand nach dem Mann aus, dessen Körper von Schatten verschluckt wurde. Er beugte sich ihr entgegen und die Anstrengung schien ihn seine letzte Kraft zu kosten.
„Tot“, flehte er.
Die Stangen des Käfigs waren eiskalt an Moas Haut. „Tot“, flüsterte sie.
Im nächsten Moment wurden die Schatten um den Körper des Mannes von goldenen Rissen durchschossen. Sie glühten, blitzten und brachen auf. Das Dunkel verzog sich vom Körper des Mannes, wie Rauch, der vor einem frischen Wind flieht, und als der letzte Atem seine Lungen verließ, lag der Mann friedlich und still. Moa glaubte an dem Anblick zu zerbrechen.
„Nein!“, brüllte einer der Alchemisten und stürzte neben den Toten.
Der andere Alchemist fuhr zu Moa herum. Wut verzerrte seine Züge. „Schafft das königliche Blut hier raus“, keifte er.
Moa hörte ihn kaum. Sie konnte nicht mehr atmen in dieser Hitze, die voll von Kreischen und Blut, Tod und Verderben war. Ihr Herz pumpte, doch kein Sauerstoff gelangte in ihre Lungen. Sie schloss die Augen und fühlte, wie sie sich von sich selbst entfernte, von diesem Ort floh.
Ein Schlag traf sie ins Gesicht und entriss sie dem Rande der Ohnmacht. Moas Augen flogen auf.
Dargaros stand über sie gebeugt. „Nein, Prinzessin“, zischt er. „So einfach mache ich es Euch nicht.“ Die Narben auf seinem Gesicht knisterten und wanden sich in der Hitze wie ein Gebilde aus lebenden Schlangen.
Moa riss sich von ihm los. „Bring mich hier weg“, keuchte sie. „Ich ertrage es nicht. Diese Menschen, diese ...“ Sie stolperte rückwärts und stieß mit dem Rücken gegen einen der Aschejäger, der ihnen in die Höhle gefolgt war.
Moa presste die Hände auf ihre Ohren, um die Schreie der Verfluchten auszublenden, doch sie schienen in ihrem Kopf zu sein, unter ihrer Haut. „Sie leiden“, wimmerte sie und fiel auf die Knie, den Kopf zwischen den Händen. „Ich kann nicht ...“
Dargaros kam auf sie zu und riss sie auf die Beine. „Ja“, sagte er. „Diese Menschen leiden für ihren König. Genau wie ich gelitten habe.“ Beinahe liebevoll legte er eine Hand an Moas Wange. „Ihr seid so leicht zu brechen Prinzessin. Viel zu leicht. Wisst Ihr, ich habe mich auch brechen lassen von den Alchemisten. Doch sie haben mich wieder zusammengesetzt und stärker gemacht. Ich bin wiedergeboren.“
Moa starrte in die bodenlosen Schlünde, die Dargaros Augen waren. „Ihr seid ein Monster“, flüsterte sie. Dann wurde es endgültig schwarz um sie.
„Wach auf, meine Hübsche.“
Ein feuchtes Tuch auf ihrer Stirn.
„Wach auf.“
Moa blinzelte. Sie lag auf dem Himmelbett in ihren Gemächern. Dargaros saß neben ihr und betupfte ihre Stirn mit einem Lappen. Einzelne Wassertropfen rannen Moas Schläfen hinab und sammelten sich in ihrem Nacken. Es fühlte sich an wie kalte Fingerspitzen auf ihrer Haut.
Moa fehlte die Kraft, um von Dargaros abzurücken. In ihrem Kopf hallten noch immer die Schreie der Gefolterten wider und lähmten ihre Glieder wie Gift.
Dargaros fuhr beinahe zärtlich mit dem Tuch über Moas Wangen und den Hals. „Nun habt Ihr gesehen, was ich auf mich genommen habe, um zu dem zu werden, der ich bin.“
Eine eisige Kälte breitete sich in Moas Gliedern aus, als ihr klar wurde, woher Dargaros Stimme ihren spröden Klang hatte. Er hatte sich in den Kerkern unter der Burg die Kehle wundgeschrien, wo die Alchemisten des Königs ihm seine Seele geraubt hatten.
Moa hätte Mitleid mit ihm empfinden müssen, doch das Wissen um seine selbst auferlegten Qualen machte ihn nur noch abstoßender in ihren
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