Der Fluch des Lono (German Edition)
berühmte Schwuchtel Wolfman« genannt, und es machte keinen großen Spaß, sich in seiner Gesellschaft zu befinden.
Einer nach dem anderen verließen wir das sinkende Schiff. Ralph ging als Erster, wie üblich – und wie immer gab er mir die Schuld. Womit er in gewisser Weise auch Recht hatte. Die ganze Sache war meine Schuld. Es war mein Plan, der schiefgelaufen war, nicht Ralphs, und jetzt war seine ganze Familie in eine zutiefst psychotische Zwangslage geraten. Manche Leute können zehn Tage im Auge des Hurrikans aushalten, andere nicht.
Ralph wurde zusehends besorgter, was diesen Aspekt der Situation betraf. Zwar war er überzeugt, dass er seine geistige Gesundheit bis in alle Ewigkeit zu bewahren vermochte – aufgrund der primitiven Energie, die seinen Waliser Wurzeln entstammte –, doch er mochte nicht darauf vertrauen, dass seine Frau und seine Tochter ebenfalls über die Kraft verfügten, einen Schock dieser Größenordnung zu überleben. »Wie viele Tage niederträchtigsten Schreckens kann ein achtjähriges Mädchen ertragen?«, fragte er mich eines Tages, als wir gemeinsam eine Flasche heißen Gin in seiner Küche leerten. »Ich sehe doch bereits die Anzeichen. Sie zieht
sich in sich selbst zurück, kaut an Garnrollen und redet nachts mit den Kakerlaken.«
»Für solche Fälle haben wir doch Irrenanstalten«, sagte ich. »Wenn deine Nachbarn von ihren Kindern in Oxford oder Cambridge schwärmen, kannst du auftrumpfen, dass du eine Tochter in Bedlam hast.«
Er löste sich aus der Erstarrung, die ihn kurz erfasst hatte, und lachte angespannt. »Das stimmt«, sagte er. »Ich könnte sie an den Wochenenden besuchen und alle meine Nachbarn zu ihrer Abschlussfeier einladen.«
Wir waren inzwischen selbst nicht mehr ganz bei Sinnen. Unsere unermüdlichen Versuche, von der Großen Insel zu fliehen, waren erfolglos geblieben. Wir bekamen nicht einmal Plätze in einer Maschine nach Honolulu, geschweige denn anderswohin … Und unser Fluchtwille war echt : Ich hätte jederzeit einen ungedeckten Scheck für einen Charter-Jet ausgestellt, 2600 Meilen »one way« nach Tahiti – aber der Sturm hatte unser Telefon lahmgelegt, und es gab nicht die geringste Hoffnung, zu jemandem durchzudringen, der weiter entfernt war als ein, zwei Meilen. Einzig und allein die Bar im Kona Inn konnten wir jederzeit erreichen.
Die lange ermüdende Zeremonie und das Fest waren endlich vorüber, und Cook gab zu verstehen, dass er gerne ein Zeltlager im Heiau aufgeschlagen hätte. Die Häuptlinge Parea und Kanina verstanden sofort; und als Cook ein ummauertes Süßkartoffelfeld auswählte und dem Besitzer eine großzügige Entschädigung versprach, legten die Priester die Hände auf die Mauer, um sie zu heiligen und mit einem »Tabu« zu belegen.
Anschließend kehrte man zum Boot zurück, und als die Gruppe durch die Ortschaft kam, Cook noch immer in seinem zeremoniellen roten Umhang, fielen Männer, Frauen und Kinder auf die Knie und berührten mit dem Kopf den Boden, bis er vorüber war. Lono! … Lono! …
Was er nicht wusste, und auch nie erfahren würde: Man hielt ihn für die Wiedergeburt des Gottes Lono. Seine Ankunft war das größte Ereignis in der Geschichte Hawaiis. Lono Makua war der hawaiianische Gott der Jahreszeit des Überflusses und des Genusses; laut Legende zog er im Uhrzeigersinn über die Insel, um überall, wo er hinkam, mit weißen Fahnen und ausgiebigen Zeremonien der Unterwerfung begrüßt und verehrt zu werden. Cook war zufällig zu dem Zeitpunkt eingetroffen, da die Eingeborenen ihren Gott erwarteten; und in der Absicht, zunächst vom Schiff aus Handel zu treiben, hatte er die Insel tatsächlich langsam im Uhrzeigersinn umrundet. Seine Standarte an der Mastspitze bildete scheinbar die göttliche Antwort auf die weißen Fahnen an Land. Und der heiligen Tradition entsprechend hatte er mit seinem
magischen Riesenkanu in Kealakekua Station gemacht, am »Pfad der Götter«, gegenüber vom Heiau, mitten in der Jahreszeit des Gottes und gerade rechtzeitig für die großen Zeremonien, mit denen man ihm für die Reichtümer und die Fruchtbarkeit danken wollte, die er durch die Erde spendete.
Cook mochte auf seiner Reise den arktischen Sommer verpasst haben, aber den Zeitpunkt für seine Ankunft in Hawaii hätte er nicht besser wählen können. Dadurch schienen all seine nun folgenden Handlungen zwangsläufig seiner göttlichen Natur zu entspringen; und mit den Zeremonien, an denen wir soeben
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