Der Fluch des Lono (German Edition)
Straßensperren und Panik und schließlich Zwangsevakuierung aller strandnahen Häuser durch Rettungsmannschaften des Zivilschutzes. »Das passiert jedes Jahr«, versicherte er. »Wir verlieren ein paar Häuser, ein paar Autos, aber eigentlich kaum Menschen.«
Ich durchstöberte immer noch die Schlafzimmer, hielt mit einem Auge Ausschau nach Lebenszeichen und ließ das andere aufs Meer gerichtet. Einer von den richtig großen Brechern konnte sich jederzeit und ohne Vorwarnung auftürmen und uns wie die Druckwelle einer Bombe überrollen. Ich hatte eine Vision von Ralph, der weit draußen, umtost von brüllenden Wellenstrudeln, am scharfkantigen schwarzen Felsgestein klebte, um Hilfe schrie und spürte, wie sich die gnadenlosen Kiefer eines Seewolfs um sein Bein schlossen.
Was würden wir tun, wenn wir plötzlich seine Schreie hörten und mit ansehen müssten, wie er nur 100 Meter entfernt in der See zappelte und um sich schlug?
Nichts. Wir könnten nur ohnmächtig mitverfolgen, wie die Wellen ihn auf die Felsen hinaufschleuderten, wieder und wieder. Am nächsten Morgen wären nur noch Fetzen von ihm übrig.
Einen Augenblick lang war ich versucht, einen starken Suchscheinwerfer zu besorgen und da draußen auf See nach ihm Ausschau zu halten, aber dann entschied ich mich dagegen. Was, wenn ich ihn tatsächlich entdeckte?
Der Anblick würde mich mein Leben lang nicht mehr loslassen … Ich würde ihm beim Sterben zusehen müssen, gefangen im Lichtstrahl meines Suchscheinwerfers, bis er schließlich verschwände, mit weit aufgerissenen Augen, die in der Gischt einer brechenden Welle noch einmal aufleuchteten, bevor er auf immer versank …
Ich hörte Ackermans Stimme, gerade als eine Monsterwelle auf den Pool traf und 10 000 Gallonen Wasser senkrecht in die Luft katapultierte.
Ich kraxelte über das Verandageländer und rannte zur Auffahrt. Höher gelegenes Gelände, dachte ich. Bergauf. Nichts wie weg hier.
Ackerman rief mich vom Balkon des Hausmeisterdomizils. Ich rannte die Treppen hinauf, klatschnass, und fand ihn in Gesellschaft von fünf oder sechs Leuten, die an einem Tisch saßen, in aller Ruhe Whisky tranken und Marihuana rauchten. Mein sämtliches Gepäck einschließlich der Schreibmaschine war in einer Ecke der Veranda gestapelt.
Niemand war ertrunken, niemand wurde vermisst. Ich ließ mir von meiner Verlobten einen Joint reichen und atmete tief durch. Ungefähr zur Mittagszeit war Ralph ausgerastet, als das Wasser eine 25-Kilo-Staude grüner Bananen auf seine Veranda geschleudert hatte, gefolgt von Wellen roten Schleims. Hunderte tote Fische wurden auf den Rasen geschwemmt, im Haus schwirrten plötzlich Tausende von fliegenden Kakerlaken, und das Meer tobte direkt unterm Fußboden.
Der Hausmeister erklärte, Ralph habe seine Familie ins Kamehameha-Hotel auf dem Pier im Zentrum von Kailua gebracht, nachdem es ihm nicht gelungen war, Tickets für einen Nachtflug nach England zu bekommen. »Und wo ist der Hund?«, fragte ich. Ich wusste, dass Sadie das Biest liebgewonnen hatte, aber unter den Trümmern der Wohnanlage war keine Spur von einem Kadaver zu finden.
»Sie haben ihn mitgenommen«, sagte er. »Er hat mich gebeten, Ihnen diese Nachricht zu geben.« Er reichte mir einen zerknüllten Bogen Hotelpapier, feucht und schwarz von Ralphs Gekritzel.
»Ich halte es nicht mehr aus«, stand da. »Der Sturm hat uns beinahe umgebracht. Ruf nicht an. Lass uns einfach in Ruhe. Der Hotelarzt wird sich um Rupert kümmern und ihn nach der Quarantänezeit nach Hause schicken. Bitte veranlasse das Notwendige. Tu es für Sadie. Ihre Haare werden weiß und weißer. Es war ein fürchterliches Erlebnis. Ich werde es dir heimzahlen. Alles Liebe, Ralph.«
»Himmel«, sagte ich. »Ralph ist weg. Er hat schlappgemacht.«
»Er wusste, dass Sie das sagen würden«, bemerkte der Hausmeister, nahm den Joint, den Ackerman ihm anbot, und inhalierte tief. »Deswegen hat er Ihnen den Hund hiergelassen. Er sagte, so sei es richtig.«
Ich faltete den Briefbogen wieder zusammen und steckte ihn in die Tasche. »Natürlich«, sagte ich. »Ralph ist Künstler. Er besitzt ein sehr feines Gespür für den Unterschied zwischen richtig und falsch.«
Wir hockten noch eine Weile auf der Veranda, rauchten Marihuana und hörten die Amazing Rhythm Aces.
Anschließend fuhren wir zu Ackerman hinauf, um dort die Nacht zu verbringen. Die Wohnanlage war überflutet gewesen, und das Wasser hatte alle Fußböden durchweicht. Es hatte
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