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Der Fluch des Lono (German Edition)

Der Fluch des Lono (German Edition)

Titel: Der Fluch des Lono (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Sommertag kann man am Ende des Piers stehen und ein Boot schon sehen, wenn es noch zehn Meilen entfernt auf See ist. Anfangs ist es nur ein weißer Fleck am Horizont … dann ein kleines Glitzern im Sonnenlicht, die Reflexion der höchsten Spitze des stählernen Thunfischturms … und bald darauf auch der weißen Bogen der Gischtfontäne, in der das Kielwasser des schnell näher kommenden Boots aufsteigt.
    Bald ist das Boot so nahe, dass Leute mit guten Ferngläsern die Farbe der Flagge erkennen können, die das Boot am Auslegermast gehisst hat. Das Blau hebt sich besser vor dem rötlichen Pazifikhimmel ab als die weiße Flagge des Ahi  – und der erste Ruf, der »Blau« verkündet, lässt die Menge hastiger zu den Waagen drängeln.
    Jeder erfolgreiche Charterbootkapitän weiß um den Unterschied zwischen Fischen und Showgeschäft. Das Fischen findet dort draußen im tiefen blauen Wasser statt; und beim Showgeschäft geht es darum, Fremden dafür das Geld aus den Taschen zu ziehen. Wenn du also bei Sonnenuntergang auf die Kailua Bay zusteuerst
und einen fetten Fisch mitbringst, der an die Waage gehängt werden wird, dann empfiehlt es sich, das in aller Ruhe zu tun. Lauf vor der Kulisse der Segelboote und Vulkane in weitem Bogen in die Bay ein, zelebriere das Anlegemanöver am Pier zum Soundtrack des Motorgrollens und reize das gesamte Reservoir an Finesse, Drama und Stil aus, das du und deine Crew aufzubieten in der Lage seid.
    Der Skipper steht oben auf der Flying Bridge, der Menge zugewendet, und kontrolliert das Boot, indem er hinterm Rücken mit beiden Händen Ruder und Gas bedient. Sein Deckhelfer und die Kunden stehen unten am Heck, ebenfalls zur Menge hin ausgerichtet und bemüht, in diesen letzten entscheidenden Minuten nichts Falsches oder Ungeschicktes zu tun, während das Boot sich langsam rückwärts den Waagen nähert und der Kettenflaschenzug ausgefahren wird, der ihren Fisch hochhieven soll.
    Den meisten »Anglern«, die für das Privileg bezahlt haben, in den Weltrekordgewässern vor Kona mit den Big Boys auf die Jagd nach den ganz großen Brummern gehen zu dürfen, ist es völlig schnurz, was mit den Fischen geschieht, die sie rausgeholt haben, solange sie nur neben dem Vieh fotografiert werden, das am Ende des Piers an der Schwanzflosse aufgehängt am Stahlgalgen baumelt. Das Einbringen der Fische ist um diese Tageszeit die einzige Aktivität in der Stadt, und bleibt es auch, denn um nichts anderes als das Hochseefischen geht es an der Kona-Küste (Gerüchte über Marihuanapflanzungen und abenteuerliche Immobilienschwindeleien sind nicht ernst zu nehmen).
    In Kona auf die Kacke hauen bedeutet, bei Sonnenuntergang dröhnend in den Hafen und zu den Waagen zu tuckern und einen Großen an Bord zu haben, nicht drei oder vier kleine Fische. Das ist es, was die Menge verlangt; und über alles, was nicht mit einem Kran von Bord geholt werden muss, wird laut gelacht.
    Bei Sonnenuntergang liegt um die Waagen Blutgier in der Luft. Um fünf sind die Leute betrunken und werden unangenehm. Typen, die Urlaub machen und zum ersten Mal aus Pittsburgh raus sind, stehen auf dem Pier herum und reden wie blasierte Experten über Fische von der Größe der Kleinwagen, die sie gerade erst am Flughafen gemietet haben.
    »Wie schwer ist das Vieh wohl, Henry?«
    »Echt schwer, Liebes. Auf der Waage angezeigt sind 61, aber das ist wahrscheinlich nur der Kopf. Der Körper sieht ungefähr so groß aus wie ’ne Kuh. Muss also schätzungsweise 500 haben.«
    Was sich um die Waagen auf dem Pier in der Kailua Bay abspielt ist dramatisch, und die Spannung wächst mit jedem neuen Boot, das einläuft. An einem guten Tag schreien sie um fünf Uhr nur noch nach 500-Kilo-Exemplaren, und wehe dem einheimischen Charterkapitän, der dann noch mit Kleinkram ankommt.
    Dennoch wird er sich unvermeidlich dem Urteil der Menge stellen müssen; denn sogar ein 50-Kilo-Ahi lässt sich im Juni an die Kühlhausjapsen für 5,56 Dollar das Kilo verkaufen  – womit schon mal Treibstoff und die sonstigen Kosten gedeckt sind. Den Fisch nicht an die Waage zu bringen, ihn nicht von der Menge besichtigen zu lassen oder den Japanern zum Kauf anzubieten, wäre
ein viel zu hoher Preis für einen seriösen Skipper. Diese Männer verlangen eine ordentliche Stange Geld für ihre Dienste; und einer dieser Dienste besteht darin, dass ihre Kunden sich auf dem Pier fotografieren lassen können, unabhängig davon, was für einen Fisch sie an die Angel bekommen

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