Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
»Oben sieht es anders aus. Wenn du einen Tee trinken willst, dann werden wir uns erst auf die Suche nach sauberen Tassen begeben müssen.«
Hinkend bewegte sich Traithe auf die Treppe zu. »Nun, dir geht eben mehr im Kopf herum als uns anderen zusammen.«
»Manchmal.« Verfolgt von dem Echo ihrer Schritte und ohne an die Lampen zu denken, machte sich der Hüter von Althain an den Aufstieg.
Als er warten mußte, während Traithe seine Reitausrüstung im Arsenal deponierte, fügte er hinzu: »Im Augenblick nur Mirthlvain.«
Traithe stolperte über die Türschwelle, was nicht allein an seinem lahmen Bein lag. Wenn der Sumpf von Mirthlvain die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Bruders errungen hatte, so war mit Schwierigkeiten von gefährlichen Ausmaßen zu rechnen. Der Rabe schlug aufgeregt mit den Flügeln, verärgert über die Störung seines Gleichgewichts. Derweil fühlte Traithe, müde von der Reise und vom Nebel durchfeuchtet, wie die Kälte durch seine alten Knochen kroch. Er fummelte an seinem Gürtel herum, löste den Feuerstein von seinem Haken und entzündete einen Leuchter auf der Etage, in der sich die Lagerräume befanden.
Im schwefeligen Flackern des neuentflammten Lichtes wurde Sethvirs Blick so hart und direkt wie geschliffenes Glas. »Vergib mir«, sagte er. »Der Tee wird warten müssen. Methschlangen haben eine Brut hervorgebracht, die das Gift Cierlan-Ankeshed zu bilden vermag. Verrain hat mich gerade erst darüber informiert. Er sagt es sind viele, und er befürchtet eine massenhafte Verbreitung.«
Traithe war nicht einmal überrascht, mitten im Austausch von Banalitäten von einem Desaster derartigen Ausmaßes zu erfahren. »Und die anderen?« Die Sorge überlagerte seine Ermüdung. Wenn sich die Methschlangen über die Grenzen des Mirthlvainsumpfes hinaus verbreiteten, so würde das Landvolk zwischen Orvandir und Vastmark in wenigen Tagen erschreckend dezimiert werden.
»Ich habe sie gerufen.«
Sethvirs Stimme war wie das Echo einer Mitteilung, die weit über die Mauern des Althainturmes hinaus eine Brücke zu den weit entfernten Mitgliedern der Bruderschaft zu schlagen vermochte.
»Wenigstens bin ich hier und kann ein bißchen helfen«, sagte Traithe, und dieses Mal war seine Verbitterung nicht zu überhören.
Noch immer in magischer Konzentration gefangen, betrachtete Sethvir seinen Bruder von den dunklen Augen unter der zerfurchten Stirn, über seine vernarbten Hände bis zum Saum seines von der Reise schmutzigen Mantels, den der Rabe an seiner Schulter bereits durchgewetzt hatte. »Du hast uns noch nie im Stich gelassen, alter Freund.«
Dann, als wäre die Vernichtung Desh-Thieres vollends trivial, als würde dem Königreich Shand aus dem Mirthlvainsumpf keine gewaltige Katastrophe drohen, schlug sich Sethvir zerknirscht mit der flachen Hand vor die Stirn. »Oje! In der Bibliothek müssen Tausende von Büchern herumliegen, und die Tintenfässer sind auch noch offen, dabei brauchen wir heute abend den Tisch.«
»Nun, dann liegt zwischen uns und der Brut der Methuri noch eine Unordnung, die wir erst einmal aufräumen müssen.«
»Unordnung?« Angesichts der vielseitigen Bedeutung des Wortes zog Sethvir die buschigen Augenbrauen hoch. »Es ist keine richtige Unordnung. Ich habe nur nicht genug Korken für die Tintenfässer, und das treibt mich ins Chaos.« Er wirbelte herum und eilte die Treppe hinauf.
Traithe folgte ihm. Mit wohlerwogenen, sicheren Bewegungen, die den größten Teil seiner Gebrechen verbargen, zündete er in jedem Stockwerk des Althainturmes die Lampen an. Zwar würde Asandir sie ebensowenig brauchen, wie Kharadmon und Luhaine, aber die beiden Prinzen aus Dascen Elur würden kaum über die Fähigkeit der Magier verfügen, im Dunkeln sehen zu können.
Rufe
Weit entfernt, an einem Ort, an dem das Licht des neuen Tages längst das ölige Dunkel Desh-Thieres durchdrungen hat, fegt ein kalter Wind über die grasbewachsenen Hügel von Araethura, genährt von der Essenz eines Zauberers, der in größter Eile gen Süden fliegt …
Im Südwesten reitet ein zweiter Zauberer, der einst als Hüter und Beschützer bekannt war, mit der Leichtigkeit langer Körperlosigkeit auf einer Flutwelle, um dem sorgenvollen Ruf aus dem Althainturm zu folgen …
Unterhalb der windgeplagten Gipfel von Camris bleibt der Zauberer Asandir im frühmorgendlichen Nebel an der Schwelle zu seinem Quartier im barbarischen Außenposten stehen, als würde er auf etwas lauschen. Nur
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