Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
einen Moment später wirbelt er herum und läuft zu den Wachposten, um alles für eine sofortige Abreise vorzubereiten …
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DER ALTHAINTURM
An bedrohliche Situationen und schnelles Handeln gewöhnt, hatten Maenalles Kundschafter bereits wenige Minuten, nachdem Asandir den dringenden Ruf aus dem Althainturm empfangen hatte, die Pferde gesattelt und das Lastenpony mit Proviant zu beladen. Mit tief in den Höhlen liegenden Augen trat Lysaer aus seinem Schlafgemach heraus, wenngleich er insgeheim erleichtert war, nicht länger in der verstörenden Gesellschaft dieser Menschen verweilen zu müssen. Trotz seiner Müdigkeit war sein Benehmen so perfekt wie immer, wie der Knabe Maien voller Anerkennung feststellte, als er dem Prinzen die Steigbügel hielt. Nicht bei jedem Mann würde sich das Dienen so angenehm gestalten, wenn er gerade erst in der Morgendämmerung nach einem ausschweifenden Fest aus dem Bett gezerrt worden wäre.
Arithon saß mit mörderischem Gesichtsausdruck auf dem Rücken seiner braunen Stute. Er war nicht ausgeruht. Allerdings hatte er am Vorabend nicht tief genug ins Glas geschaut, um sich den Schlaf durch Alkohol ruinieren zu lassen. Als Asandir sich in den Sattel seines Rappen schwang, sagte der Herr der Schatten: »Ich hätte die gnädige Frau Maenalle gern um eine Audienz gebeten.« Der Zauberer richtete schweigend seine Zügel, und während der Wind die Kälte von den Gipfeln in ihre Kleider trieb, offenbarte sich der Grund für sein Stillschweigen.
»Falls Ihr für den jungen Grithen habt sprechen wollen, so könnt Ihr Euch die Mühe sparen«, erklang die Stimme der Dienerin Tysans, die die ganze Zeit über beobachtend in ihrer Nähe verweilt hatte, jedoch in ihrer Kundschafterkleidung und mit der Kapuze über dem Haar Arithons Aufmerksamkeit entgangen war.
Abgeneigt, sich seine Überraschung mehr als durch ein kaum merkliches Hochziehen einer Braue anmerken zu lassen, grüßte Arithon sie höflich. Einer Entschuldigung näher, als Lysaer es je von seinem Halbbruder erlebt hatte, sagte er: »Ich denke jedoch, gute Gründe zu haben, mich für den Mann zu verwenden.«
Maenalle verzog keine Miene. »Tysans Kundschafter handeln nicht aus dem Motiv persönlicher Rachegelüste heraus. Ganz gleich, wie sehr sie auch provoziert werden, es ist ihnen verboten, Geiseln zu nehmen. Wir sind nicht wie die Clans in Rathain, die Geld und Vieh gegen das Leben von Gefangenen tauschen. Grithen hat wider die Ehre gehandelt, und dafür wird er sich verantworten müssen. Die Tatsache, daß er zu seiner Tat verführt wurde, wird ebensowenig Einfluß auf seine Strafe haben, wie der Pakt, daß er durch seine Handlungsweise seinen obersten Herrscher in Gefahr gebracht hat. Der Kodex, nach dem er verurteilt werden wird, dient dazu, das Überleben der Clans zu sichern.«
Die Stute bewegte sich unter Arithon, als sie die Veränderung in seiner Stimmung bemerkte. »Ihr mißbilligt die Vorgehensweise Eurer Nachbarn im Osten?«
Maenalle preßte die Lippen zusammen. Obwohl ihr durchaus bewußt war, daß die nervösen Bewegungen der Stute die Empfindungen ihres Reiters widerspiegelten, antwortete sie dann aber mit der ihr eigenen schonungslosen Offenheit, die sogar die härtesten Kundschafter aus der Fassung zu bringen pflegte. »Im Gegensatz zu Euren Untertanen in Rathain, müssen meine Leute nicht mit der Handelsstadt Etarra fertig werden. Dort herrscht ein erbarmungsloser Zwist zwischen den Städtern und den Clans. In jenem Land kann der städtische Rat die Exekution eines Mannes schon dann veranlassen, wenn er lediglich die falsche Ballade gesungen hat. Ihr solltet Eure Lyranthe in jener Gegend mit größter Vorsicht benutzen, junger Prinz.«
Der Herr der Schatten entgegnete: »Spart Euch den Titel, gnädige Frau. Möglicherweise werde ich nie die Herrschaft über jene Stadt einfordern, von der Ihr mir erzählt.«
Breitbeinig trotzte Maenalle den Gewalten des Windes. »Wollt Ihr wirklich die Wahrnehmungsfähigkeit aufs Spiel setzen, die Euer Talent nährt, nur weil Ihr Euer Herz gegen die Not der Menschen verschließt?«
Nun mußte Arithon lachen, und sein Ärger wich der Bewunderung für die selbstsichere Haltung der Frau. Er verbeugte sich im Sattel, ergriff Maenalles Hand und küßte sie respektvoll zum Abschied. »Wäret Ihr Caithdein von Rathain, ich würde wohl arg unter Druck geraten. Denkt Ihr, daß die Stadtregenten Etarras zu Kompromissen bereit wären?«
Bar jeder Rachsucht sprach Maenalle:
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