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Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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verlangte, und zeigte jede Veränderung des Gleichgewichts mit absoluter Genauigkeit auf. Die Zukunft, die einer Änderung der Ereignisse entspringen konnte, wurde hier sogar in winzigen Nuancen unverzüglich erkennbar. Um die Analogien in den Mustern ohne umständliche, mathematische Analysen lesen zu können, stopfte Dakar die Pfeife mit den kleingeschnittenen, silbergrauen Blättern der Tienellepflanze. Bald darauf zog der Duft des Krautes durch den Raum, scharf und bitter wie ein Winterwind.
    Das Muster auf dem Tisch näherte sich seiner Fertigstellung, und seine Ausstrahlung spielte wie sommerliches Mondlicht auf den Gesichtern der anwesenden Zauberer. Dakar entzündete die Pfeife an einem Funken aus den Fingern des boshaft grinsenden Kharadmon.
    »Beginne«, sagte Sethvir sanft.
    Der Wahnsinnige Prophet saugte kräftig an der Pfeife und füllte seine Lungen mit dem aromatischen Rauch. Schwindel befiel seinen Geist, gefolgt von einem adrenalinähnlichen Schub. Seine Sinne verwirrten sich, ehe sie plötzlich mit einer neuen, schmerzhaft erweiterten Wahrnehmung erwachten. In seinen Ohren erklangen Geräusche mit unnatürlichen Frequenzen, und seine Augen sahen mit einer rasiermesserscharfen Klarheit. Die Stränge, die das Machtgefüge der lebendigen Welt reflektierten, verloren ihre zufällige Erscheinung und wurden zu einem verständlichen Ganzen. Wie auf einem Wandteppich offenbarte sich ihm die Bedeutung der Linien und Winkel, in der die Schicksale der Königreiche mit den Geburtstagen und Todestagen selbst der Feldmäuse verwoben waren.
    Doch wurde diese großartige Anordnung von Disharmonien überlagert. Hier erzählte ein Durcheinander von der Mißgunst, der Habgier und Voreingenommenheit eines Stadtregenten; dort offenbarte eine verzerrte Linie das durch die unendlichen Nebel Desh-Thieres verkümmerte Wachstum eines jungen Baumes. Dort, wo einst das leuchtende Gewebe paravianischer Präsenz die zentrale Achse der Ursprünglichen Macht, des Ath, ausgebreitet hatte, war nur ein Kanal der Leere übrig. Dakar kämpfte darum, eine Flut der Tränen zurückzuhalten. Noch einmal sog er an der Pfeife, und das Tienellegift formte seinen Kummer zu einer Klinge, die sich tief in sein Herz bohrte. Sein Gefühl für Zeit trübte sich. Über den leuchtenden Linien der Gegenwart Atheras fühlte er Veränderungen, die sich über ganze Zeitalter erstreckten, fühlte, wie sich die einen Einflüsse verstärkten, andere schwächer wurden oder ganz verschwanden. Er ertrug das Wissen aller Vergangenheit und jeder möglichen Zukunft, bis der Blick Asandirs in sein Bewußtsein drang. Zwar erhob sich sein Geist in einen Wirbel der Erleuchtung, doch die Erkenntnis hatte ihren Preis. So sehr die Droge seinen Geist befreite, so sehr brannte das Gift in seinem Leib. Wenn er vergaß, auf seine physische Gesundheit zu achten, so würde der Tod ihn überwältigen.
    Der Augenblick, in dem die Zauberer die Macht beschworen, machte sich durch eine Eiseskälte bemerkbar, die sich über die ganze Länge von Dakars Wirbelsäule erstreckte. Ein schauerliches Licht überzog die Stränge, während die Zauberer die Zukunft erforschten und die Ereignisse abriefen, die infolge der Taten der beiden Prinzen aus Dascen Elur eintreten mochten.
    Desh-Thieres Untergang manifestierte sich in einer Explosion neuer Kraftlinien. Wälder und Felder leuchteten unter dem Wachstum neuen Lebens auf. Eine neue Achse zog sich durch die Politik der niedergeschmetterten Gilden und zerstörten Räte: Lysaer, wie Dakar voller Überraschung bemerkte. Der Prinz zu s’Ilessid würde eines Tages die Städte einigen und Krieg führen, um alles Land für seine Regenten zu beanspruchen, er würde die Clans unterdrücken und schließlich gar vernichten. Arithons Rolle erschien in seiner Wahrnehmung, doch er war nicht in Rathain, sondern zog als ein Mann von selbstgefälliger Eleganz von Ort zu Ort, als Barde, der sich ganz und gar seiner Musik verschrieben hatte, und doch war seine Kunst eingerahmt in ein verborgenes Leid, das seinesgleichen nie gesehen hatte.
    Der offenkundige Schrecken der Zauberer unterbrach den Fluß der Möglichkeiten, und Dakar ergriff die Gelegenheit, sich zu sammeln. Dann mußte er sich beeilen, Schritt zu halten, während sich die Stränge zu einer neuen Sequenz zusammenfügten. Die Bruderschaft verfolgte die auf den ersten Blick einzige Alternative, um diese Wendung zum Desaster abzuwehren: Sie ließen dem Nebelgeist die ungebrochene Macht über den

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