Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Zeitalters noch in voller Blüte stand. Die Ekstase ihrer Musik hatte sich in die Erde gegraben, und nun beklagte sogar der Wind ihre Abwesenheit. Noch nach tausend Jahren war das Land mit einer verstörenden Anmut gesegnet. Über den Boden schwebten Energien, die das Leben lobpriesen, und trotz des Fluches von Desh-Thiere brachten die Hügel jedes Frühjahr einen kniehohen Blütenteppich hervor, und die Vogelbeersträucher trotzten den allgegenwärtigen Farnen noch immer.
Nun, in der Kälte des Winters, blieben nur noch die Geister, ätherisch wie Schattierungen in einer Silberstiftzeichnung, gefangen in einem Tanz in unendlicher Stille. Der Zauberer ging weiter, darauf bedacht, nicht allzu genau hinzusehen. Erinnerungen an zu viele Freunde verfolgten ihn mit ihrem Kummer. Sorgen hatten zu viele Falten in sein Gesicht gegraben, und zu wenige hatte die Hoffnung wieder zu glätten vermocht.
»Dael-Farenn, Königmacher!« wisperte der Wind, während er durch seine Haare strich. »Was ist mit deiner Hoffnung geschehen, was mit deinen Träumen, mit deiner Freude? Der Tanz ist noch nicht zu Ende, denn das Lied wird mit dem Sonnenlicht wieder auferstehen.« Hätte Asandir seine Ohren verschließen können, so hätte er es gewiß getan; doch das Hörvermögen eines Magiers ging über die Fähigkeiten des Fleisches hinaus. Die Stimmen und Geister verfolgten seine Seele mit jedem Schritt, den er tat.
Er erreichte die Kuppe, hinter der sich die Senke ausbreitete, in der die Ilitharis Paravianer zum ersten Mal die Wintersterne benannt hatten. An diesem Ort war eine Heiterkeit verblieben, die auch die kommenden Zeitalter überdauern würde, ganz gleich wie sehr die Welt auch unter Zwist und Streit würde leiden müssen. Asandir blieb stehen, als ihn die hellen Klänge einer Lyranthe über die Anwesenheit des Herrn der Schatten informierten. Er spannte Hals und Hände an, und die Stimmen im Wind verhallten zu einem leisen Murmeln, die Geister wirbelten fort, und das Strahlen der Mysterien verlosch, als hätte das Beben seiner Muskeln sie vertrieben. Mit einer Empfindungsfähigkeit, die ihn all seiner Kräfte zu berauben drohte, hörte Asandir, wie Arithon frei von Bitterkeit das Geschenk Maenalles zum Klingen brachte.
Akkorde ertönten, erhoben sich in die Lüfte, verbunden durch musikalische Verzierungen, die, einem geöffneten Vorhang gleich, den genialen Barden in dem Lyranthespieler offenbarten. Geschliffene Diamanten verfügten nicht über die Klarheit dieser Klänge. Der Thronfolger derer zu s’Ffalenn besaß ein Geschick, welches das Herz des Zuhörers zu treffen vermochte. Würde man ihm die Freiheit geben, seiner Leidenschaft zu folgen, und fände er den richtigen Lehrer, so könnte sein Talent zu einer Vollkommenheit gebracht werden, der sich niemand würde entziehen können.
Ungelenk lief Asandir zu ihm. Seine Hirschledersohlen glitten geräuschvoll über den Stein und erinnerten den Musiker daran, daß er nicht allein war. Arithon blickte über seine Schulter und begrüßte seinen Besucher mit einem Lächeln. Für keinen Moment regte sich die gereizte Wachsamkeit, die ihn zu früheren Gelegenheiten hatte verhärten lassen. Als hätte die Erlaubnis, die Gefahr bei der Vertreibung der Methschlangen zu teilen, ihn von seinen inneren Spannungen befreit, entschwebten die Töne der Melodie ungehindert seinen spielenden Fingern. Kein Bruderschaftszauberer hätte angesichts der lyrischen Klänge überhören können, daß sich in Arithons Spiel nun seine Unvoreingenommenheit widerspiegelte.
Asandir kämpfte gegen den Wunsch an, sich abzuwenden, umzukehren, ins Tal zurückzukehren und Caith-al-Caen den Geistern und dem Barden zu überlassen. Doch statt dessen stählte er seinen Willen und stellte sich der schmerzhaften Wahrheit: seine magische Wahrnehmung zeigte ihm die Farben von Arithons Aura, die von absolutem Vertrauen zeugten.
Die letzten Schritte in die Senke fielen ihm unendlich schwer. Asandir schaffte es, obwohl sich plötzlich die Last der Jahrhunderte über ihn senkte und der Wind wie mit feindseligen Fingern an ihm zu zerren begann. Er erreichte den Stein, auf dem Arithon saß, und betrachtete den Nebel und die Schatten, bis das Lied zu Ende war. Als schließlich die letzte Note verklungen war, setzte er sich neben den Herrn der Schatten.
»Warum?« fragte er sanft, obschon er es in der Tiefe seines Herzens längst wußte.
Arithon legte die Lyranthe in seine Armbeuge und antwortete der Frage dem Sinne
Weitere Kostenlose Bücher