Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
geheimnisvolle Weise eine Lebensspanne von fünfhundert Jahren an das Wasser eines Brunnens zu binden, dachte Arithon, doch er behielt seine Gedanken für sich.
Dennoch aufgeschreckt glitt Lysaer aus dem Bett, wobei er eine Stofflawine verursachte. Arithon hielt seinen aufgeregten Halbbruder mit einem kraftvollen Griff zurück. »Warte die Zeit ab! Eine so überragende Macht wird niemals ohne Grund eingesetzt. Wir haben keine andere Wahl, als vorsichtig zu sein.«
Nackt, von dem Kleiderhaufen auf seinen Füßen abgesehen, schluckte Lysaer seinen Stolz herunter. Mit all seinem Mißtrauen gegenüber der Zauberei und dem Verlust von Königreich und Erbe gefiel es Lysaer nicht, sich auf die Wohlgesonnenheit und das Urteil seines früheren Feindes verlassen zu müssen. »Was schlägst du also vor?«
Arithon erkannte das Dilemma, in dem sein Halbbruder gefangen war, und bemühte sich trotz seiner eigenen Unsicherheit, den Schaden zu beheben, den sein mangelndes Taktgefühl verursacht hatte. »Macht ohne Weisheit zerstört sich am Ende selbst. Dieser Zauberer dort ist unvorstellbar alt. Ich denke, wir werden ihm fürs erste vertrauen müssen.«
Lysaer griff nach dem heruntergefallenen Hemd. Schweigend rammte er seine angespannten Fäuste in die Ärmel der Tunika, die aus einem weit weniger wertvollen Stoff war, als die, die er als Kronprinz getragen hatte.
Arithon sah ihm ein wenig aufgebracht zu. »Bisher hat keiner von uns Schaden genommen, trotzdem sollten wir vorsichtig sein. Halte dich wenigstens so lange zurück, bis uns unser Gastgeber seine Beweggründe zu erkennen gibt.«
Halbbekleidet hielt Lysaer inne. »Ja, ja, ich habe es vernommen.« Der Blick, mit dem er sich zu seinem Bruder umwandte, ließ den s’Ffalenn zusammenzucken, so deutlich brachte er das Unbehagen aus dem Ratssaal von Amroth zurück. Für einen Augenblick hielt die Anspannung an, dann fluchte der Prinz und etwas von seiner Wut verflog. »Beim Rad des Schicksals, ich bin es leid, mich mit Dingen befassen zu müssen, die über meinen Horizont hinausgehen.«
»Dir mangelt es nicht an Urteilsfähigkeit.« Doch Arithon wandte das Gesicht ab, verriet doch seine Miene die Wahrheit: Lysaers Unwissenheit war bedeutungslos, und all seine Lehrzeit in Rauven nur ein Fiebertraum angesichts der Präsenz, die in seiner Wahrnehmung widerhallte. Ruhelos ging Arithon zur Tür.
Orangefarbenes Licht fiel durch die Fugen der grob zusammengefügten Bretter. Der Herr der Schatten preßte sein Gesicht an eine der Spalten und starrte in den darunterliegenden Raum. Holzstapel warfen Schatten auf die lehmverfugten Wände, und von den Deckenbalken hingen Kräuter herab, deren Duft sich mit dem Holzrauch vermischte. Vor dem Herd saß ein kleinwüchsiger Mann auf einem mit der Axt gezimmerten Nadelholzstuhl; eine verknitterte Tunika verhüllte seinen gewaltigen Bauch, und sein Haar glich einem verfilzten Vogelnest.
Arithon bewegte sich ein wenig. Seine Hände waren schweißnaß von der besorgten Anspannung. Dann sah er auf einem weiteren Stuhl einen zweiten Mann, dessen Anwesenheit ihm beinahe entgangen wäre. Silbernes Haar leuchtete vor dem Rund eines Schleifsteines im Feuerschein. Ein Holzscheit raschelte im Kamin, und das Licht der Flammen brach sich flackernd und ungleichmäßig im Gesicht des Mannes. Arithon erkannte dunkle, hervorstechende Brauen und einen Ausdruck unendlicher Ruhe. Obwohl gebeugt und von den Jahren gezeichnet, schien der Fremde dem Alter getrotzt zu haben. Erneut empfand Arithon den Hauch großer Macht, und er spürte, wie ihm der Atem stockte.
»Was siehst du?« Lysaer beugte sich erwartungsvoll über seine Schulter.
Noch nicht bereit, seinen Verdacht mitzuteilen, trat Arithon von der Tür zurück. Schließlich konnte er nichts gewinnen, wenn er zuließ, daß seine magisch geschulte Wahrnehmung seinen Verstand mit Ehrfurcht überwältigte. Er zuckte die Schultern, um sein Unbehagen abzuschütteln. »Der dicke Bursche wird vermutlich für das Reden zuständig sein, aber sieh dir mal den anderen an.«
Wenngleich der Herr der Schatten die Klinke auch sehr leise bewegte, so hörte es der bärtige Mann doch sofort. Wachsam wie ein Fuchs blickte er sich um, und seine fleischigen Hände ließen die Gabel sinken. »Asandir?«
Der ältere Mann hob das Haupt. Augen wie Spiegelglas richteten sich auf die beiden jungen Männer im Türrahmen. »Seid willkommen. Eure Ankunft bringt Athera den Segen.«
Er sprach paravianisch, was in Dascen Elur als die
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