Der Fluch des Nebelgeistes 01 - Meister der Schatten
Rüstungen, Schwerter und Zaumzeug taten. Die Ballade begann mit der blutrünstigen Ermordung des Herzogs in seinem eigenen Bett. In Moll beschrieb der Sänger, wie sich die Außenmauern des Schlosses im Licht der Fackeln rot verfärbten, während der Pöbel die Köpfe des Rates und des Gefolges der Familie forderte. Doch damit hatten die Greuel noch lange kein Ende. Mit düsterem Ton sang der Barde weiter, sang von den Flüchtlingen, die in der Wildnis um ihr Überleben kämpften und während der Winterstürme vor dem Jagdhorn des Kopfjägers fliehen mußten. Als er drei Jahre alt gewesen war, hatte die Ballade über den Untergang des Hauses von Erdane Grithen die Tränen in die Augen getrieben. Als er sieben war, hatte der Mord an seinen Brüdern, begangen mit den Speeren der herrschaftlichen Jagdgesellschaft, Haß in seinem Herzen entflammt, Haß auf jeden Mann, der innerhalb der Stadtmauern das Licht der Welt erblickt hatte. Während die meisten Clanmitglieder sich auf den Pässen als Fährtensucher und Kundschafter nützlich machten, war Grithen freiwillig zurückgeblieben. Niemals konnte die Bequemlichkeit der Siedlungen in den Ebenen ihm mehr Erleichterung verschaffen, als es ein Akt der Rache vermochte.
So konturlos wie Schachfiguren aus Elfenbein, umrundete die Vorhut der Karawane im dichten Nebel einen Felsvorsprung. Die bewaffneten Männer marschierten wachsam in Zweierreihen, die Waffen fest in Händen. Noch vor fünf Jahrhunderten hätten solche Männer in Grithens Gefolge dienen können, nun aber waren sie nur seine Opfer. Selbst ein Produkt eines gewaltbeherrschten Erbes, hatte der junge Kundschafter diese Karawane für seinen Raubzug erwählt.
Eisenbeschlagene Räder knirschten auf dem Felsen, als die Wagen um die Biegung fuhren. Ein Fuhrmann beschimpfte seinen trödelnden Esel im Dialekt der Küstenbewohner. Ohne weiter auf die Kälte zu achten, betrachtete Grithen die Güter, die ordentlich verschnürt auf den Karren lagen. Seinen scharfen Augen entging nicht das geringste Detail. Die Bündel aus geöltem Segeltuch enthielten vermutlich Stahl, vorausgesetzt, die Karawane kam von der Küste. Ein Brandzeichen auf der Ladung bestätigte diese Annahme. Acht Wagen fuhren unter dem Felsvorsprung vorbei. Grithen lächelte voller Vorfreude, tat aber weiter nichts. Vorsicht sicherte sein Überleben. Die Stadtregenten zahlten noch immer Kopfgelder, und ein Kundschafter, der den Wachen zum Opfer fiel, würde kaum einen schnellen Tod finden. Die Karawane war längst außer Hörweite, als Grithen sich aufrichtete. Er zog sich von seinem Aussichtspunkt zurück und bewegte Arme und Beine, um die Durchblutung anzuregen. Eine Bewegung auf der Klippe ließ ihn aufschrecken, und er blieb reglos stehen, bis er die Quelle erkannt hatte. Ein älteres Clanmitglied kam von der Höhe zu ihm herab. Wind zerzauste den Pelz seines Fuchsfellhutes, und seine wettergegerbten Züge wurden durch eine Narbe verzerrt. Grithen senkte voller Hochachtung den Kopf. »Lord Tashan.«
Schweigend deutete der ältere Mann in Richtung Straße, die nun bis auf den Nebel völlig verwaist war. »Es kann keinen Raub geben.« Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er leise erklärte: »Ein Barde reist mit dem Pack. Er ist ein Freund des Clans und steht unter dem Schutz unseres freundschaftlichen Eides.«
Frierend, steif und verärgert zog Grithen ein böses Gesicht. »Aber jetzt spielt er für die Stadtleute, und ich habe gehärteten Stahl in diesem Wagenzug gesehen.«
Tashan spuckte aus. »Herzog Grithen? Ihr sprecht wie das Gesinde des Stadtregenten, wie ein Gesetzloser ohne Manieren. Als nächstes vergeßt Ihr, wer Euer Herr ist.«
Die Schmach ließ alle Farbe aus seinem Gesicht weichen. Wenn der Kundschafter auch wenig Vertrauen in die Prophezeiung hatte, die die Rückkehr eines s’Ilessid ankündigte, so würde er doch die Ehre des Clans mit seinem Leben verteidigen. Darin lag die wahre Bedeutung seines Geburtsrechtes. »Wie Ihr wünscht, Lord Tashan.«
Der ältere Mann nickte zufrieden, aber schroff, und Grithen folgte ihm von dem Felsvorsprung herunter. Die nächsten Städter, die über den Paß von Orlan reisen würden, sollten gnadenlos ausgeplündert werden, und kein Barde, keine Alten, keine Waffengewalt würde sie dann retten können.
Vorschau
Mit einem Gesichtsausdruck, so unergründlich wie der eines Poeten, saß Sethvir von der Bruderschaft inmitten ganzer Stapel aufgeschlagener Bücher und zeichnete
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