Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
für ihre Zuneigung echt waren, und überdies von beängstigender Macht für jede weiblich geborene Seele. Das ist der Grund, warum du allein gerufen wurdest, den Beobachtungen der heutigen Nacht beizuwohnen. Ich wollte unsere anderen Ältesten davor beschützen, einer so beängstigenden Versuchung ausgesetzt zu sein. In diesen Worten liegt auch eine Warnung für dich. Achte die Gefahr.«
»Dann tut Euch Elaira tatsächlich leid«, bemerkte Lirenda, erregt über die Entdeckung, daß Morriel überhaupt zu Sentimentalitäten fähig war.
Die Oberste Zauberin stritt dies in keiner Weise ab. »Ich bedauere, daß ich sie zerstört habe.«
Lirenda konnte es nicht glauben. Planken krachten, als sie über ein umgestürztes Gerüst kletterte, um neue Fackeln anzuzünden. »Niemand hat Elaira gebeten, diese Szene in der Bar heraufzubeschwören oder zuvor gar Asandir aufzusuchen. Das dumme Ding hat sich selbst ruiniert.«
»Nein. Sie hätte sich von ihrem Fehler erholen können. Das hatte sie sogar bereits in einem bewundernswerten Ausmaß getan, bis ich sie dann nach Etarra geschickt habe.« Nun wieder hart bis ins Innerste und verärgert über das verstärkte Licht, das Schatten in die Linien ihres Gesichtes zeichnete, sog Morriel scharf die Luft ein. »Du wirst aus dieser Sache lernen, Erste Zauberin, wenn du wirklich meine Nachfolge anstrebst. Elaira ist ein wertvolles Werkzeug, ein Fenster zum Charakter Arithons, das wir dringend benötigen, soweit uns daran gelegen ist, herauszufinden, welchen Konflikt die Bruderschaft über den Kontinent gebracht hat. Wir müssen das Mädchen vorsichtig dabei unterstützen, die Disziplin aufrechtzuerhalten. Sie ist pflichtbewußt. Wenn wir nur klug handeln, werden sich die Bruchstücke ihrer Einsichten für eine lange Zeit als nützlich erweisen, ehe sie bricht. Wie du selbst schon bemerkt hast, hätte sie der Neugier widerstehen müssen, die sie nach Erdane getrieben hat, wenn unsere Ordenslehren gefruchtet hätten. Elaira ist ein fehlerhaftes Instrument. Aber sie wird uns dienen, wie es keine andere kann, bis der Tag kommen wird, an dem sie ihr Gelübde verraten wird. Sorgen wir dafür, daß ihr eigenes Versagen und nicht dein von Rachsucht getriebener Perfektionismus sie zerstören wird.«
Die Oberste Zauberin schloß die Augen, um sich für einen Moment der Meditation hinzugeben, ein deutliches Zeichen dafür, daß sie ihre Kraft durch ihr Sprechen verbraucht hatte.
Lirenda war wie stets raffiniert genug, die von ihrer Obersten gezogene Linie nicht zu überschreiten; zu raffiniert, wie die alte Oberste so manches Mal dachte. Wie so viele andere Matriarchinnen vor ihr wünschte auch sie sich, die letzte Prüfung der Weihe für den Sitz der Obersten Macht von Koriathain wäre nicht für die meisten Anwärterinnen so verhängnisvoll.
Lirenda war die dreiundvierzigste Anwärterin, die in der Hoffnung, eines Tages ihr Erbe antreten zu können, erwählt worden war. Morriel kämpfte darum, ihr Denken und Fühlen vom Schmerz ihrer spröden Knochen abzulenken. Wieder einmal lebte die Furcht in ihr auf, sie könnte die Führungskette brechen, sie könnte die erste Oberste Zauberin sein, die vom Tode eingeholt würde, noch bevor eine Nachfolgerin die Weihen überlebt hätte.
Alt war sie und furchtbar müde. Morriel suchte mit aller Macht Trost in der Zucht ihres Amtes. Was Lirenda während der dahinstreichenden Minuten tat, war nicht von Bedeutung. Schon vor Jahren hatte die Oberste Zauberin aufgehört, Interesse in die persönlichen Besonderheiten der Kandidatinnen zu investieren. Die Frau, die überlebte – nur die würde sie lieben können. Seit dem Tod der ersten waren alle anderen nur noch Nummern gewesen.
Erst, als der Geruch verbrannten Krautes sie darüber in Kenntnis setzte, daß die Pfeife nun zur Gänze geraucht war, rührte sich Morriel wieder. In dem Augenblick, in dem das betäubende Kraut Elairas Erinnerungsfähigkeit auf die Spitze getrieben hatte, schälte sie sich aus ihrem Deckenstapel und erhob sich. Lirenda hatte sich bereits neben dem Färberfaß aufgebaut, und ihre gespannte Miene verriet deutlich, daß sich auf der Wasseroberfläche bereits ein Bild zeigte. Behutsam mit ihren Gelenken, die von den vielen Jahrhunderten unnatürlicher Lebensspanne abgenutzt waren, durchquerte Morriel den Raum, um sich anzuschauen, was das Wasser ihnen zu bieten hatte.
»Eine Wiederkehr«, murmelte Lirenda, als die Matriarchin neben sie trat. »Er ist beinahe ein Doppelgänger
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