Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Torbrands.«
Beeindruckt von Elairas Mut, Arithon zuerst darzustellen, schwieg Morriel. Dann blickte sie in das Faß, und ihr Herz versagte ihr die Sprache angesichts des verblüffend detaillierten Bildes auf der Wasseroberfläche.
Den gewählten Moment hatte Elaira heimlich erhascht, als der Mann voller Naivität davon ausgegangen war, daß niemand mit höheren Interessen anwesend sei, und er kauerte sich in die schmutzige Gasse zusammen mit denen, die sich zuletzt um Macht, um Zauberei oder die blutigen Fehden zwischen den verschiedenen Interessengruppen scherten. Inmitten eines Rudels zerlumpter Kinder war Arithon damit beschäftigt, einen Zweimaster aus Schatten unter vollen Segeln fahren zu lassen.
Elaira hatte sein Bild eingefangen, als er gerade aufblickte und die Fahrt seiner Illusion beobachtete. Ein Ausdruck von Frieden und Freiheit lag auf seinem Gesicht. Verzücktes, zufriedenes Lachen umspielte seine Mundwinkel. Kein Schatten verdunkelte seine Augen, und die scharfen Züge des s’Ffalenns wirkten gelöst und offenbarten in lebendiger Klarheit die Tiefe des Edelmutes und des Mitgefühls, die seine musische Empfindsamkeit stützten.
Es war, als würde sein Geist offen vor ihnen liegen. Die Genauigkeit von Elairas wiedergegebener Erinnerung strafte jede scharfe Kante, jedes bissige Wort, jede verworrene oder komplizierte Reaktion Lügen, die Arithon dazu benutzt hatte, dies, sein verletzliches Inneres, sein Herz zu schützen.
»Daelion, Herr des Schicksals«, keuchte Morriel. »Das Mädchen hat ihn für uns demaskiert, voll und ganz. Ich hätte nie gedacht, daß das möglich ist.«
Völlig in das Bild versunken, bemerkte Lirenda nicht einmal, daß sie sich ihre Fingernägel abgebrochen hatte, so fest umklammerte sie den steinernen Rand. »Er kann besiegt werden. Das Morden wird ihn schließlich niederringen, weil das typische Gewissen derer zu s’Ffalenn ihn zwingen wird, zurückzuweichen.«
Morriel betrachtete das Bild lange und eingehend, wobei sie den Kopf in einer überraschend großmütterlichen Geste auf die Seite neigte. »Sieh noch einmal hin«, drängte sie. »Nicht der Krieg wird diesen Prinzen aufhalten.« Als Lirenda nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Es ist ein feines Detail, aber es ist deutlich erkennbar, wenn du seine Hände vor seinen Augen studierst.«
Gehorsam betrachtete Lirenda Arithons Finger, die zart und geschickt waren und in diesem Augenblick der Erinnerung Elairas graziös an der Vervollkommnung eines schwierigen Zaubers arbeiteten. Die grünen Augen waren von großer Tiefe, doch nicht gefährlich. »Ich kann nichts weiter entdecken«, gestand die Erste Zauberin widerstrebend.
Morriels gackerndes Gelächter hallte durch das verfallene Lagerhaus. »Er ist nicht gerade raffiniert! Nicht, wenn er wahrhaft ehrlich ist. Das bedeutet, daß die Tücke, die er so gern zeigt, wenn er provoziert wird, nicht auf einer korrupten Genialität beruht. Nein, leider nicht. Was dieses Prinzen Geist antreibt, ist nicht Verschlagenheit, sondern die Gabe der Hellsichtigkeit, die dem königlichen Geschlecht derer zu s’Ahelas eigen ist.«
Lirenda überdachte diese Information, während draußen in der Gasse ein Krach ertönte, der eine Katze fauchend aus ihrem Schlupfwinkel trieb. Von der Ablenkung aus ihren Gedanken aufgeschreckt, streckte Morriel den Arm aus und klopfte auf Elairas Hand. »Zeig uns nun den Halbbruder!«
Das Bild Arithons verschwand und wurde sogleich durch ein anderes ersetzt. Nun stand der s’Ilessid-Prinz im frühmorgendlichen Nebel in einem Garten, halb aus dem Dunkel gerissen von einem Lichtstrahl, der durch das Tor von der Straße aus hereinfiel. Er lehnte am Podest einer Statue, Tauperlen überzogen seinen Mantel und glitzerten bei jedem Atemzug wie Diamanten auf seinen Wimpern. Die Feuchtigkeit war sein einziges Juwel: Ausnahmsweise waren seine Kleider ungeschmückt, nicht einmal sein Haar war gekämmt. Wenngleich er in der Öffentlichkeit stets sein tadelloses, diplomatisches Benehmen beibehielt, zeigte sich hier, allein, ein gepeinigter Ausdruck auf seinen königlichen Zügen, während er einen inneren Kampf ausfocht, der sein Gewissen quälte. Der schmerzliche Gesichtsausdruck, die herabhängenden Schultern, die vom Lampenschein gülden gefärbte Haut seiner ineinander verkrallten Hände, all das war von einer unzweifelhaften Anspannung geprägt. Elairas Beobachtung hatte ihn in einem Augenblick erfaßt, in dem sich all seine seelenmarternden Selbstzweifel
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