Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Messer hielt, löste und der feindselige Ausdruck aus seinem Gesicht schwand, hörte er von der Belagerung von Falmuir, in der eine Prinzessin allein auf das Schlachtfeld hinausgegangen war, auf dem ihre toten Bewacher und ihre Feinde lagen. Verzaubert von dem Gewebe aus Worten und Tönen lauschte Caolle mit feineren Sinnen inDemut der Legende, die sich hier in der Schlucht der Toten von Deshir wiederholte.
Irgendwann wanderte sein Blick wieder zu Arithon zurück. So wie es eine Prinzessin einst voller Kummer über den furchtbaren Verlust getan hatte, kniete nun der Herr der Schatten inmitten der verbrannten Überreste seiner Schutzbefohlenen Untergebenen. Seine zarten Hände waren mit der schwarzen Asche beschmutzt, die jede der Leichen bedeckte, die er zur Ruhe gebettet hatte. Auf seinen hohlen Wangen glänzten Spuren von Tränen. Er sprach. In jeder Silbe klang Barmherzigkeit mit, und jedes Wort, das über seine Lippen kam, formte einen Namen. Er rief sie in Liebe, und sie kamen zu ihm, die Seelen kleiner Babys, stillschweigender Frauen, Seelen von Mädchen und Großmüttern, Töchtern und Ehefrauen, grausam dem Leben entrissen, heimatlos und verwirrt. Sie bildeten ein Netz unterschwelligen Lichts um ihn herum, nicht mehr als verbrannte Leichen, sondern in ihrer heilen Gestalt, nicht mehr bekümmert, sondern froh, als er in paravianischer Sprache lyrische Worte formulierte, die das Grauen bannten, dem sie zum Opfer gefallen waren.
Arithon gab ihnen ihren Tod zurück, befreit vom Grauen des Mordens. Jede einzelne Seele hegte er, besänftigte ihre Erinnerungen. In bedingungslosem Erbarmen, das keinen Platz für Kummer ließ, wurden sie schließlich vollkommen frei für den Frieden der tiefsten Mysterien Aths.
Bald schon verlosch auch die letzte sanft leuchtende Erscheinung; nur ein Mann allein blieb zurück und kam unsicher wieder auf die Beine; und der traurige Gesang Hallirons beendete die letzten Zeilen der Geschichte der Prinzessin von Falmuir: »›Wollt’ nie sich vermählen, nicht ruh’n noch Muße tun, sondern erlösen der Toten verwirrte Seelen, und schmücken ihr kaltes Fleisch mit Blumen.‹«
Doch dort in der Schlucht der verbrannten Erde gab es keine Leiber mehr, die beerdigt werden konnten, auf daß ihre Gräber mit Blumen geschmückt würden. Caolle strich sich mit dem Handrücken über die Wangen, während seine Finger noch immer das Abdeckermesser umspannten. Mit einer ruppigen Geste deutete er auf den Prinzen und sagte ebenso schroff: »Der Mann ist schon einmal zur Ruhe geschickt worden. Wenn er hier draußen in Ohnmacht fällt, wird er sich noch den Kopf auf den Felsen wundschlagen.«
»Laßt ihn.« Halliron brachte seine Saiten zum Verstummen. »Seine Taten spenden einen Trost, den wir nicht bieten können.«
»Trotzdem braucht er Erholung«, grollte Caolle. »Aber, bei Daelion, ich habe gar keine Lust, mich als königliches Kindermädchen zu versuchen.«
Im Einklang mit der Veränderung in Caolles Schimpftirade, packte der Meisterbarde sein Instrument wieder ein. Zu würdevoll, sich in humorigen Beschuldigungen zu ergehen, wartete er schweigend, bis Caolle sein Messer in die Scheide zurückgeschoben hatte. Dann folgten sie Arithon auf seinem Weg aus der Schlucht und kümmerten sich um die Lebenden, während Rathains Prinz sich den zahllosen Toten zuwandte.
Die Nacht verging. Auf des Barden Gesicht war jede schlaflose Stunde zu erkennen, und Caolles Miene erinnerte an knitterndes Leder. Als die Morgendämmerung hereinbrach und die Vögel im Wald unberührt von der Menschen traurigem Kampf ihre Lieder zu singen begannen, erreichten sie ein kleines Tal, dessen Boden bedeckt war von den Schäften gefallener Pfeile, und dahinter sahen sie eine breite Buche, um die herum die Männer so dicht gefallen waren, daß einer über dem anderen zum Liegen gekommen war, als wären sie nichts weiter als sturmgetragenes Strandgut.
Aus der Versunkenheit erwacht, die ihn während des ganzen Weges durch die Schlucht gestützt hatte, streckte Arithon ganz plötzlich die Hand aus und berührte Halliron am Unterarm. »Laßt mich hier allein arbeiten. Unter diesen Gefallenen werdet Ihr keine Überlebenden finden.«
Einen Menschen mit einer Klinge zu früh aus dem Leben zu reißen, war nicht das gleiche, wie Magie zu nutzen, um seine Geschicke zu verändern, sein Los durch den Mißbrauch jener Kräfte zu manipulieren, die das Leben stifteten. Die Seelen jener Männer zu erlösen, die zu Jierets Verteidigung
Weitere Kostenlose Bücher