Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Grabsteinen.
»Ich werde dafür sorgen, daß du gerächt wirst«, gelobte der Prinz, von glühender Aufrichtigkeit erfüllt. Dann berührte er den Mann sanft an der Schulter und erhob sich.
Während der Dunkelheit hatten die Schreie und der Lärm zurückkehrender Nachzügler, vom Nebel unheimlich verstärkt, das Lager erfüllt. Im Laufe der Nacht hatte sich das Ausmaß der Katastrophe erst noch undeutlich abgezeichnet und war in seiner Schwere noch immer zu leugnen gewesen. Nun aber, als es allmählich heller wurde und der Nebel sich lichtete, zeigte sich das Übel in seiner ganzen, schrecklichen Tragweite. Zwei Drittel eines gewaltigen Heeres von zehntausend Bewaffneten, das ausgezogen war, einen leichten Sieg zu erringen, waren in einer einzigen Schlacht gefallen. Lysaer schritt durch die Reihen, als der Schock der Erkenntnis das Lager erschütterte und die Stimmen der Männer in schrillem Unglauben durcheinanderbrüllten. Die wenigen verbliebenen Offiziere bemühten sich, Kummer und Entsetzen durch Arbeit zu lindern, während andere gebrochene, schweigende Männer stützten, die sich an den Kochstellen für Zwieback und Heisch anstellten.
Erzogen zu herrschen und auf die Anforderungen der Führung vorbereitet, teilte Lysaer die Last der Männer, wo er nur konnte. Er sprach mit ihnen, berührte sacht ihre Schultern, und einmal besänftigte er einen Mann, der wild mit seinem Dolch herumfuchtelte und jedermann gegenüber wütete, er würde ein Überfallkommando zusammenstellen, um in den Strakewald zurückzugehen. Voller Mitgefühl mit den Männern, doch besessen von seiner eigenen Selbstbeherrschung, betrachtete der s’Ilessid-Prinz die kümmerlichen Überreste der Garnison von Etarra.
Wo auch immer er vorüberging, erfüllte seine unangreifbare Selbstsicherheit die Männer mit stiller Ehrfurcht. Siebentausend Tote vermochten sein Gleichgewicht nicht ins Schwanken zu bringen. Er konnte Entsetzen darüber empfinden, daß Arithon sich skrupellos kleiner Kinder bedient hatte, doch er verspürte nicht das geringste Bedauern darüber, daß die Sicherheit der Stadt die vollständige Eliminierung der Barbarenfrauen und ihrer Kinder erforderlich gemacht hatte. Schließlich würde sich keine Stadt von einer solchen Niederlage erholen können, solange die Bürger in dem Glauben leben mußten, daß ein solches Morden jederzeit wieder geschehen mochte.
»Euer Hoheit, habt Ihr schon etwas gegessen?« Ein fetter Koch zupfte schüchtern an seiner Schulter, eifrig darum bemüht zu gefallen.
Freundlich neigte Lysaer den Kopf. »Ich habe nicht einmal bemerkt, daß ich hungrig bin.« Er ließ sich zu einer Feuerstelle führen und probierte höflich von der Suppe, die ihm gereicht wurde.
Als die Flammen seinen Blick gefangennahmen, spukten sogleich schaurige Assoziationen durch seine Gedanken, und er erlebte noch einmal den Augenblick, in dem er tatsächlich bereit gewesen war, sich selbst zu zerstören, nur um dem Herrn der Schatten den Tod zu bringen.
Wenngleich auch kein Preis zu hoch erschien, um den s’Ffalenn-Bastard vom Antlitz der Erde zu tilgen, ehe noch mehr Unschuldige seiner Tücke zum Opfer fallen konnten, war doch die Selbstopferung, bei Tageslicht und in kalter Ernüchterung betrachtet, mehr ein Akt hitzköpfiger Dummheit. Lysaer schauderte und stellte seine Suppenschale klirrend auf das Brett, auf dem der Koch seine Utensilien ausgebreitet hatte. Es konnte keine Garantie dafür geben, daß Arithon während dieses Schlagabtausches den Tod gefunden hatte. Möglicherweise war er klug genug gewesen zu entkommen; die Ausbildung in Rauven verlieh ihm manchen Vorteil.
Noch immer hielt die schaurige Verunsicherung vor, die ihn daran zweifeln ließ, daß es seine eigene Entscheidung war, den Märtyrertod zu riskieren.
Einst, in der Segelkammer der Briane und an einem anderen Tag in der Roten Wüste, hatte Arithon seine magischen Kräfte genutzt, den Geist seines Halbbruders zu verwirren. Von Zweifeln geplagt, dachte Lysaer angestrengt nach. Hatte der Bastard im Strakewald ein ähnliches Spiel mit ihm getrieben? Wenn sich Spott und Trieb mit Magie verbanden, den einzigen Mann auszulöschen, der über das Licht gebot und ihm gefährlich werden konnte, so führte die Bösartigkeit eines solchen Tuns zu einem erschreckenden Ergebnis.
Wieviel besser wäre es doch für Arithon, könnte er die Macht erringen, mit dieser Welt zu spielen, wie es ihm gefiel, und gleichzeitig seinen Feind in die Selbstvernichtung treiben?
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