Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
der Schulter schob Arithon die Tür ins Schloß, gerade in dem Augenblick, da die vorwitzigsten unter den Gildemeistern vorstürmten, um ihn niederzureißen.
Traithe mochte verkrüppelt sein, doch er war nicht ohne Macht. Als die Aggression um ihn herum aufwallte und Ellbogen seinen Leib trafen, wartete er tastend, bis ihre Geister sich in einem umfassenden Willen zur Gewalt vereinigt hatten. Direkt in ihrer Leidenschaft schlug Traithe zu. Er fügte ihrem Willen verworrene Energien hinzu, die ihren Mordwillen unterdrückten und zügelten, als sein Schutzzauber sich in die entstandene Lücke drängte.
Schreie verhallten in Stille, überlagert vom Seufzen edler Kleiderstoffe. Der Angriffssturm zerfiel zu einem wackeligen, langsamen Sturz, als jeder Mann, der dem Prinzen Übles wollte, auf die Knie fiel und zusammenbrach.
Am Ende war kein Stadtbewohner mehr auf den Beinen. Eingebettet in zerknitterten Brokat auf zerdrückten Hüten und fellgesäumten Umhängen, lag jeder Würdenträger aus Etarras hohem Rat an der Stelle, an der er gefallen war, in tiefem Schlaf am Boden.
Nur ein vernarbter, silberhaariger Magier stand noch auf seinen Füßen und betrachtete die Reihen erschlaffter Leiber, doch das Herz war ihm schwer beim Anblick dieses kleinen Sieges, den er doch zu spät errungen hatte. Allzu bewußt war ihm die Ironie der Geschichte: Ganz abgesehen von Dakars infernalischer Prophezeiung über die Wiederherstellung der Bruderschaft hätte Arithon nun doch zurückkehren können, um hier Zuflucht zu suchen, bis der Rabe Sethvir herbeigerufen hätte.
Die am Boden liegenden Ratsmitglieder schnarchten unbeachtet vor sich hin.
»Möge ein jeder von Euch um Eurer Ignoranz willen von Alpträumen geplagt werden!« fluchte Traithe voller bärbeißiger und bekümmerter Inbrunst. Dann richtete er seinen schwarzen Hut mit der breiten Krempe und beschäftigte sich damit, Wachbanne über jeder Tür, jedem Fenster, jedem Geheimgang und jeder Ritze anzubringen, auf daß die Minister aus Morfetts Rat so lange sicher verwahrt bleiben würden, bis der Verlauf der Tragödie, die das Netz vorhergesagt hatte, ihnen einen sicheren Schluß darüber erlaubte, welche Hoffnung sie noch in die Prophezeiung der Schwarzen Rose setzen durften, die unter einem so schlechten Stern zu stehen schien.
Lysaer schloß die Augen, als zum dritten Mal ein unangenehmes Prickeln seinen Körper befiel. Ein stiller Teil seiner Selbst analysierte das Gefühl und schloß, daß die Bruderschaftszauberer ihn mit Hilfe ihrer Magie suchten. Warme Hochstimmung folgte dem Kribbeln. Mit unheimlicher Sicherheit erkannte er, daß er nicht mehr länger derselbe war; das Muster, daß die Zauberer bei ihrer Untersuchung entdeckt hatten, paßte nicht mehr zu seiner Person. Im Grunde sollte diese Einsicht, die eher zu einer magisch geschulten Wahrnehmung gepaßt hätte, ihn erschrecken.
Nun aber, besessen von dem zwanghaften Drang, der Gerechtigkeit zu dienen, fragte er nicht einmal, was diese Veränderung oder die sonderbare Selbsterkenntnis verursacht haben mochte.
Unbeachtet blieb das Paradoxon, daß er gleich einem Flüchtling durch die Gassen schlich, nur weil er versprochen hatte, seinen Halbbruder ins Gebet zu nehmen. Für Lysaer war in diesem Augenblick nur der Drang, jeden möglichen Vertrauensbruch aufzudecken, von überwältigender Bedeutung.
Das Dilemma, das auf seinem Gewissen lastete und seine Nachtruhe durch Alpträume vertrieben hatte, stand ihm nun mit absoluter Klarheit vor Augen.
Höhnisch lachte er über sich selbst. So sehr hatte er sich bemüht, Arithon gegenüber im Zweifel für den Angeklagten zu richten, daß sich seine eigene Objektivität zum Hindernis entwickelt hatte. Zitternd und schwitzend schalt er sich ob seiner idealistischen Dummheit. Die ganze Zeit hätte er nur fragen müssen. Denn wenn sich herausstellen sollte, daß Arithon ein Lügner war, so hätten die langen Wochen der zutiefst betrüblichen Gegenbeschuldigungen möglicherweise auf einen Schlag ein Ende. Wäre Avars Bastard erwiesenermaßen ein Krimineller, stünde Lysaer in der moralischen Pflicht, die Händler und Stadtleute zu verteidigen.
Eine Lösung zugunsten eines Leids, das er verstehen konnte, wäre für ihn eine große Erleichterung.
»Ich finde dich«, gelobte er den Schatten stellvertretend für Arithon.
Das prickelnde Unbehagen war, als er weiterging, einem fanatischen Eifer gewichen.
Streunende Hunde, die auf der Straße herumschlichen, wichen jaulend
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