Der Fluch des Nebelgeistes 02 - Herr des Lichts
Hoffnungen nicht. Das flüsternde Chaos seiner Gedanken richtete sich gänzlich nach innen, als das sorglose Vertrauen der gemeinen Bürger Etarras ihn veranlaßte, sein eigenes Versagen zu betrachten.
Auch er hatte sich von dem Prinzen von Rathain irreführen lassen; er, Amroths ehemaliger Thronerbe, der das Blut seiner eigenen Familie an die Schliche der s’Ffalenns verlieren mußte, wenigstens er hätte es besser wissen müssen.
Eine Berührung an seinem Arm ließ Lysaer aufschrecken. Höflich, doch auf alles gefaßt, blickte er sich zu der Matrone mit dem Korb voller runzliger Äpfel um, die ihm ein schüchternes Lächeln schenkte. »Habt Ihr Eure Leute verloren?«
»Nein, gnädige Frau.« Lysaer lächelte. »Ich bin allein.«
Von seinem überragend guten Aussehen aus der Fassung gebracht, zuckte die Frau vage mit den Schultern. »Nun, auch wenn Ihr allein seid, gnädiger Herr, werdet Ihr doch von einer der Galerien aus besser sehen können.« Sie löste eine rissige Hand von ihrem gehäkelten Tuch und deutete nach oben.
Lysaer blinzelte in dem Sonnenlicht, das so strahlend herniederschien, als wollte es die Luft mit seiner Klarheit reinigen. Von seinem Aussichtspunkt am Rande des Platzes sah er die Balkone an den Villen der Gildeminister, die sich in Reihen über der Straße erhoben. Die Konstruktionen aus Holz und Schmiedeeisen warfen Schatten über ein Gewühl singender Schuhmacher, die sich ausgelassen mit einem Schlauch Schnaps vergnügten. Als zu allem Überfluß ihr unmusikalischer Vorsinger innehielt, um einen Schluck zu trinken, geriet ihr Liedchen vollends aus dem Ton. »Ich bin nicht eingeladen«, sagte Lysaer in dem Lärm. »Außerdem werden die besten Plätze inzwischen längst vergeben sein.«
»Nun, das mag sein.« Von seiner Freundlichkeit ermutigt, bedachte ihn die Matrone mit einem schnellen, abschätzigen Blick. »Aber ich habe einen Cousin, dessen Wohnung an der Vorderseite des Platzes gelegen ist. Wenn ich ihn frage, wird sich bestimmt noch ein Plätzchen finden lassen.«
Lysaer fragte nicht, ob dieser Cousin zufällig eine Tochter im heiratsfähigen Alter und die törichte Hoffnung, einen vermögenden Freier anzulocken hatte. So akzeptierte er das Angebot auch nicht auf falscher Grundlage, als er ihren Arm ergriff und ihre Hand küßte. »Ihr seid zu gütig.«
Die Träume und Leben dieser ehrlichen Menschen waren das erste, was Arithons Machenschaften zerstören würden. Galant nahm Lysaer der Matrone den Korb ab. »Laßt mich das tragen. Jede Last muß Euch in diesem Gedränge furchtbar hinderlich sein.«
»So schlimm ist es nicht.« Doch ihre Finger lösten sich von dem Handgriff. Im vollen Vertrauen auf seine Lauterkeit nahm die Matrone seinen Arm. »Kommt mit mir. Beeilt Euch, sonst werden wir noch die Prozession verpassen.«
Minuten später, eingeklemmt zwischen den Enkeltöchtern eines Möbeltischlers und drei strammen Burschen, die die Abzeichen der Weinhändlergilde trugen, setzte sich Lysaer auf den angebotenen Platz.
Von der Galerie in der dritten Etage, zu der eine Außentreppe hinaufführte, überblickte er den Platz, auf dem Tausende von Menschen gleich Wasserströmungen bei launischem Wetter umherwirbelten.
Die juwelenstrotzende, federgeschmückte Eleganz der Reichen vermengte sich beunruhigend mit dem armseligeren Auftreten gemeiner Arbeiter und Bettler, die nach wie vor in ihre kunterbunten Fetzen gekleidet waren. Etarra hatte sich zur Krönung Arithons erhoben, um ihm ein Willkommen, wohldurchsetzt mit Feindschaft, zu entbieten.
Die Stimmung auf dem Balkon, auf dem Lysaer nun wie ein Huhn auf der Stange hockte, war ausgelassen. Die jungen Burschen hatten von ihrem Meister ein Faß bekommen, und der Wein wurde freigebig ausgeschenkt. Der schwere Duft des roten Rebensaftes vermengte sich mit dem süßeren Geruch der Äpfel, die an die Kinder verteilt wurden.
Höflich, aber zurückhaltend, verteilte Lysaer lächelnd Komplimente, als ihm die unvermeidliche hübsche Tochter präsentiert wurde. Obgleich das sorgfältig geschminkte Mädchen in dem mehrlagigen Seidengewand ihn mit bewundernden und hoffnungsvollen Blicke bedachte, schenkte er ihr danach nur noch wenig Aufmerksamkeit und erging sich statt dessen in räuberischer Abschätzung der Menschenmenge.
Ihre kleine Schwester war weniger zurückhaltend.
Sie watschelte heran und zupfte an seinem Ärmel. An den Grübchen auf ihrem Kinn klebte Apfelsaft, als sie fragte: »Wonach sucht Ihr denn da?«
Hinter ihr
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