Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
gedacht, daß ich das noch erleben darf«, flüsterte der Eseltreiber aufgeregt. »Der Meisterbarde persönlich besucht unser bescheidenes Dorf.«
Dakar blinzelte erstaunt. Halliron, hier?
Hinter den rußverschmierten Stützpfeilern nahm der neue Gast seinen Mantel und seine eisverkrustete Kapuze ab. Bis über die Schultern fiel sein offenes, weißes Haar, in dem noch immer gefrorenes Eis glitzerte. Dann, so unverwechselbar wie ein Namenszug, erklang die weiche Stimme des Mannes, als er sich an den Wirt wandte. »Was für ein Sturm. Die Pässe sind kaum passierbar. Aber wir haben Silber, Euch zu bezahlen, wenn Ihr noch ein Quartier für überraschende Gäste habt.«
»O nein!« protestierte der Wirt. »Das heißt, natürlich habe ich Räume für Euch. Ordentliche Zimmer und das sauberste Leinen an der Küste von Highscarp. Aber Euer Silber wird in Euren Taschen bleiben, jede einzelne Münze. Eure Anwesenheit wird mir genug Gäste hereinbringen, selbst wenn Ihr nicht singt.«
»Eure Leute sollen nicht ohne den Genuß nach Hause gehen müssen, zum Dank für Eure Freundlichkeit«, versprach Halliron. Ein hochaufgerichteter Mann, trotz seines mehr als acht Dekaden währenden Lebens, mit einer auffallenden, aristokratischen Nase und weit auseinanderstehenden Vorderzähnen, die er nun zu einem Lächeln entblößte. »Wir werden zwei Betten benötigen. Mein Schüler wird nachkommen, sobald er unser Pony versorgt hat.«
Der Wirt, der soeben neben dem Kamin gekauert hatte, um das Feuer anzufachen, richtete sich entsetzt auf. »Mein Junge, hat er Euch denn nicht im Hof empfangen? Dieser faule, miese …«
Mitten in seiner Tirade wurde die Tür geöffnet. Windgetragener Schneeregen peitschte mit der eisigen Brise herein, die den Mief aus dem Kamin aufwirbelte, während eine Gestalt, fest in feuchte Wollkleidung gewickelt, hastig den Raum betrat. Er wich Dakars gewaltigem Bauch aus und erklärte sogleich: »Euer Zorn ist unnötig. Der Bursche arbeitet wirklich hart. Das Zaumzeug war naß und mußte geölt werden, und Hallirons Pony haßt Knaben. Mein Meister hätte Euch sicher noch erzählt, daß ich mich stets selbst um das Tier kümmere.«
Ungehalten ob seiner Kopfschmerzen und seiner eingeschränkten Sehfähigkeit nahm Dakar den gerade eingetretenen Fremden blinzelnd in Augenschein. Eingewickelt in unzählige Lagen schäbiger Tücher und einen schwer zu beschreibenden Mantel mit Schulterkragen schien er überwiegend aus Wolle zu bestehen. Vor ihm entstand eine Gasse, die bis zum Kamin hinüberführte. Eis löste sich von seinen Kleidern, als er die Verschnürungen löste und ein langes, sich einseitig verjüngendes Bündel zum Vorschein brachte, das fest in Öltuch gewickelt war. Vorsichtig legte er es außerhalb der Reichweite der im Kamin lodernden Flammen ab. Gleich darauf entledigte er sich seiner nassen Handschuhe, die er mit einem eleganten Wurf zielsicher auf die Lehne einer Sitzbank beförderte.
Dann veranlaßte ihn eine Bewegung, die er nur aus dem Augenwinkel hatte wahrnehmen können, herumzuwirbeln. »Nein«, sagte er mit Bestimmtheit. »Laßt mich das machen.«
Und Halliron, der Anstalten gemacht hatte, die Verschlußbrosche seines Mantels zu öffnen, mußte feststellen, daß seine Unterarme sanft, aber doch fest, ergriffen und festgehalten wurden.
»Ihr müßt Eure Finger schonen«, tadelte den Meisterbarden sein eigener Schüler. Gänzlich unbewußt hatte er die Aufmerksamkeit eines jeden Besuchers in diesem Raum auf sich gelenkt.
Der gealterte Barde, den öffentliches Aufsehen längst nicht mehr in Verlegenheit zu bringen imstande war, zuckte, behindert von den Händen seines Schülers, mit den Schultern. Während die Finger des jüngeren Mannes daran arbeiteten, ihm das Gewicht des nassen Mantels abzunehmen, amüsierte er sich über den mitfühlenden Spanielblick des Wirtes. »Werdet nur niemals alt«, sagte er. »Es ist ein lächerlich unangenehmer Prozeß, für den unser Schöpfer Ath ruhig eine Medizin erfinden könnte.«
Peinlich berührt ob der eigenen Vernachlässigung der Gastfreundschaft, bellte der Wirt seinem Barmädchen zu: »Glühwein, Mädchen, und heiße Suppe. Und falls meine Frau immer noch in der Küche herumtrödelt, dann sage ihr, sie möge frisches Brot aufschneiden.«
Während das Weibsbild davoneilte, stützte Dakar nachdenklich seine schwankende Masse auf den nächsten Tisch. Nicht minder unverfroren als die Pfeilewerfer sah er neugierig zu, wie der Schüler des Barden seine
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