Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
ausgelassener Heiterkeit.
Da er erkannte, daß die Gaststube sich füllte, erhob sich Medlir mit einem Ausdruck des Bedauerns in den Augen. »Ich werde gebraucht. Vielleicht können wir uns später noch unterhalten.«
Dakar, der niemals einem Mann widersprechen würde, der ihn großzügig mit Bier versorgte, antwortete mit einem schiefen Grinsen. Dann hob er seinen Krug und sagte: »Auf später.«
Der Tag zog vorüber, und es wurde Abend. Halbbesoffen, noch immer in Socken hockte Dakar zwischen einem dunkelhäutigen, zierlichen Goldschmied und der rosigen Frau eines Bergarbeiters und grölte unflätige, schauerlich schräge Sätze. Von Wein und guter Stimmung überwältigt, legte die Frau neben ihm einen Arm um seine Schultern und küßte ihn. Glückselig kostete Dakar abwechselnd ihre Lippen und seinen Bierkrug, der inzwischen oft genug nachgefüllt worden war, den Seifengeschmack zu verlieren.
Das Gedränge in dem Gastraum hatte noch weiter zugenommen. Jeder verfügbare Tisch und jede Bank war weit über das verträgliche Maß hinaus belegt. Planken bogen sich unter der Last dichtgedrängter Leiber. Verschütteter Schnaps glänzte auf den Bodenplatten. Der Geruch schweißgetränkter Wolle hing in der Luft, die zum Schneiden dick zu sein schien. Die Gäste, stehend, sitzend oder komatös in halbverrutschter Kleidung achteten schon längst nicht mehr auf Anstandsformen. Halliron selbst hatte nicht gespielt, aber sein Schüler war ebenfalls ein geschickter Musiker, beseelt von einer Energie, die das Publikum trieb, den Takt mit den Fäusten zu schlagen, bis die Tischbohlen bebten.
Was kaum überraschen konnte, wie Dakar in der kurzen Pause zwischen zwei Reels [1] erkannte. Halliron hatte beinahe sein ganzes Leben lang Kandidaten angehört, die sich um die Position eines Schülers bewarben. Dieser Mann, den er in seinen späten Jahren erwählt hatte, war der einzige Bewerber, der seinen hohen Ansprüchen gerecht geworden war. Medlir widmete sich voller Leidenschaft der Lyranthe, spielte aus purem Vergnügen all die Liedchen, die Trinklieder und die Tanzmusik, bis ihm die Menschen dieses Bergdorfes, das in einem Schneesturm nach Unterhaltung dürstete, zu Füßen lagen.
Die Mitternachtsstunde ging vorüber. Zwei Fässer waren völlig, ein drittes beinahe leer. Der Wirt hatte schließlich Erbarmen mit dem Musiker und drängte sich mit ausgestreckten Ellbogen durch die Menschenmenge, um dem Mann einen Teller mit einem Schmorgericht aufzudrängen. Medlir schenkte ihm ein knappes Lächeln, bückte sich zu seinem Meister und wechselte ein paar Worte mit ihm, ehe der alte Mann nickte und seinem Schüler die Lyranthe abnahm.
Das anerkennende Gemurmel in der Taverne wich urplötzlich ehrfürchtiger Stille. Halliron, der Meisterbarde, erhob sich und betrachtete sein Publikum mit gequälter Freude. »Bei Ath, es wäre mir lieber gewesen, ihr hättet ein bißchen mehr Krach gemacht«, sagte er mit sanfter Stimme, um das Kind nicht zu stören, das schläfrig im Schoß einer jungen Frau ruhte. »Wenn ihr zu leise seid, dann werden die Leute, die mir am nächsten sind, nur das Knacken meiner Gelenke hören.«
Medlir hielt ihm den Stuhl, und der Meisterbarde setzte sich. Die blauen Venen an seinen Händen traten deutlich hervor, als er die Lyranthe noch einmal stimmte, obgleich sie bereits perfekt eingestellt war. Medlir verstand sein Handwerk, aber der alte Mann fuhrwerkte aus der Gewohnheit seines Musikerlebens trotzdem stets gern selbst an den Wirbeln herum.
Immer umfassender wurde die Stille. Aus dem hinteren Bereich der Taverne rief ein Gast: »Meistersänger! Die Leute, die aus Etarra kommen, erzählen von einem Krieg in Deshir, gegen den Zaubererprinzen, der den Schatten befiehlt. Habt Ihr irgend etwas darüber?«
Hallirons Finger erzeugten eine rasche Reihe sauberer Töne, so klar voneinander getrennt wie ein Regen fliegender Pfeile. »Ja.« Kurz wechselte er einen Blick mit Medlir, der sein Mahl zur Seite stellte und irgend etwas darüber murmelte, daß er vergessen hätte, nach dem Pony zu sehen. Auf die Frage des derb gekleideten Bergmannes antwortete Halliron: »Ich kann diese Ballade spielen wie kein anderer, denn ich war tatsächlich dort.«
Bewegung kam in die Menge, und das Murmeln setzte wieder ein. Menschen setzten sich wieder auf ihre Plätze, als Halliron die Saiten verstummen ließ, den Kopf vorbeugte und für einen Augenblick reglos hinter dem Schleier weißer Haare sitzenblieb. Dann ließ er die
Weitere Kostenlose Bücher