Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
konnte sie sich doch ebensowenig fernhalten wie die Motten, die sich am Licht verbrannten.
Der Mann, in dessen Armen sie lag, war zuviel für sie. Mehr als alles andere war er ein Prinz, das selbstlose Instrument anderer, die von seinem Schutz abhängig waren. Schon jetzt war er kraft seiner beängstigenden Gabe an Verpflichtungen gebunden, die weit stärker als die Liebe waren. Sanft wog er sie in seinen Armen, berührte sie mit Händen, die kurz zuvor noch eine widerspenstige Lampe mit einem nachlässig produzierten Funken entflammt hatten und ebenso leicht eine Macht von der Gewalt sommerlicher Blitze freizusetzen vermochten. Zum Schutz einer Stadt vor der Tücke des Arithon s’Ffalenn, einer Stadt, die noch die Narben eines Krieges gegen eben jene Schatten trug, mit deren Hilfe der Nebelgeist hatte besiegt werden können, hatte dieser Mann seine Macht hingegeben.
Erregt und befangen in schamlosem Glücksgefühl, blinzelte die gnädige Frau Talith, als Tränen ihre Augen füllten. Was sollte nach dem Wiederaufbau schon aus Avenor werden, wenn nicht ein noch größerer Stützpunkt für noch weitreichendere Feldzüge und noch mehr Armeen? Sie verstand das wohl, und ihr Zorn ließ ihren Haß nur um so heißer wüten. Lysaer s’Ilessid würde niemals Frieden finden, und er würde auch nie wirklich ihr gehören, bis zu dem Tag, an dem der Herr der Schatten gefunden und überwältigt und schließlich dem sicheren Tod zugeführt werden konnte.
Entrinnen
Bis zur totalen Erschöpfung überanstrengt von weiteren gemeinsamen Suchbemühungen, erklärt die Erste Zauberin der Obersten Korianizauberin vollkommen ermattet: »Während einer halben Dekade haben wir die Wege durch fünf Königreiche verfolgt, jedes Clanlager in Rathain überprüft, Markierungsbanne gesetzt und Fallen an allen Wegen, Straßen und Tavernen aufgebaut! Selbst wenn der Herr der Schatten gestorben oder vom Antlitz Atheras verschwunden wäre, dann hätten wir eine Spur von ihm finden müssen …«
Weit im Osten, in einer Stadt am Ufer der Wasser der Eltairbucht, stammelt ein unterwürfiger Formengeber verängstigte Entschuldigungen gegenüber einem offiziellen Gesandten in der schwarzgoldenen Robe mit dem Löwenwappen einer Stadtregierung: »Aber natürlich, Ihr habt mein Ehrenwort, ich werde die Fehler korrigieren. Die Form für die Krone für seiner Lordschaft Gemahlin wird noch einmal neu angefertigt und innerhalb der nächsten vierzehn Tage in Eure Stadt geliefert …«
Als der Herbst sich der Sonnenwende nähert, die Tage kürzer werden und die verkrüppelten Fichten in den Hochlagen unter dem Ansturm kalter Winde heulen, erbettelt Dakar, der Wahnsinnige Prophet, eine Passage in die nächste Stadt; und das Geld, das schon im Frühjahr für ihn hinterlegt worden war, damit er den meistgesuchten Mann des Kontinentes finden und schützen sollte, bleibt den Freuden von Bier und schamlosen Weibern vorbehalten …
2
LANDSTREICHER
Dakar, der Wahnsinnige Prophet, öffnete die Augen und blickte direkt auf die beschlagene Scheibe eines Fensters in einer schmuddeligen Taverne irgendwo in der tiefsten Provinz. Eisregen prasselte gegen das rußgeschwärzte Glas der Scheiben. Die rohen Bretter unter seiner Wange waren mit klebrigen Lagen von altem Fett und verschüttetem Bier überzogen. Seine Zunge schmeckte, als hätte er eine ganze Horde Schnecken in seinem Mund beherbergt. Von dem Schmerz in seinem Rücken darauf hingewiesen, daß er vermutlich eingeschlafen war, wo er gesessen hatte, und mit seinen Exzessen vertraut genug, zu wissen, wann die falsche Bewegung zu noch größerem Schmerz führen konnte, stöhnte er kläglich.
Doch kein weibliches Wesen kam herbeigeeilt, um ihn zu besänftigen; statt dessen umgaben ihn leise Geräusche, die durchaus ausreichten, explosiven Schmerz in seinem Kopf auszulösen. Vorsichtig rührte er sich, die Augen fest geschlossen und die kalten Hände an die Schläfen gepreßt. Auch seine Füße waren eiskalt, was wohl die Folge davon sein mochte, daß er sie die ganze Nacht über in nassen Socken der Zugluft ausgesetzt hatte. Hingegen schienen seine beiden Stiefel verschwunden zu sein.
Leise, doch voller Selbstmitleid, jammerte der Wahnsinnige Prophet vor sich hin. So vorsichtig er nur konnte, richtete er sich auf. Seine Augen weigerten sich, klar zu sehen, doch dieses Problem war ihm nicht fremd. Er war schon kurzsichtig auf die Welt gekommen. Damit wurde es Zeit, sich der Tatsache zu stellen,
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