Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
gestohlen hatte, deren Gatten zur Unzeit nach Hause gekommen waren. Doch Fesseln und Riegel der Kerker von Jaelot waren nicht zur Zierde aus weichen Legierungen gefertigt. Noch immer durchgefroren nach dieser Nacht auf feuchtem Stroh, knirschte Dakar erbost mit den Zähnen ob seiner Trägheit, mit der er sich jahrhundertelang durch das Dasein eines Zauberlehrlings hatte treiben lassen, ohne auch nur zu lernen, die verschiedenen Eigenschaften zu manipulieren, aus denen kalter Stahl zusammengesetzt war.
Das Dilemma, in das Feenhuf ihn gestürzt hatte, hatte längst aufgehört, komisch zu sein.
Im Licht einer einzigen Kerze ragten Podest und Tisch des Statthalters vor der Anklagebank auf. Das Podium, eine Marmorkonstruktion mit barbarischen Schnitzereien, kitschigen Stützpfeilern und grotesken, buckligen Karyatiden [2] , deren leidende Haltung im Spiel der Schatten an Szenen aus den trostlosen Gruben Sithaers erinnerte. Der Geruch von Wachs, Pergament, getrockneter Zitronenschale und shandischer Gewürze, die dazu dienten, den Gestank der beklagten Männer zu überdecken, die angekettet im von Rattenurin verseuchten Stroh gelegen hatten, lag in der Luft. Jenseits des abgesperrten Bereiches, der für die Gefangenen reserviert war, standen Holzbänke, auf denen sich die Beschwerdeführer in sauberen Hemden und polierten Stiefeln versammelten; dort warteten auch Gemahlinnen, Verwandte und duldsame Freunde der Angeklagten des jeweiligen Tages in nervöser Stille. Es kamen auch Neugierige, doch fielen sie kaum auf. In Jaelot, so hatte Dakar ein geschwätziger Aufseher erzählt, hatte einmal ein Bettler, der sich im Hofe des Statthalters verkrochen hatte, zur Strafe all seine Finger verloren.
In diesem Zimmer jedoch erschien ihm eine schnelle Enthauptung als gnädiges Urteil, als streng hingegen eine Verstümmelung oder das Rad, vor der Verbrennung bei lebendigem Leibe. Darum bemüht, sich das Zerren der Ketten zu erleichtern, verlagerte Dakar sein Gewicht dauernd von einem Fuß zum anderen; für einen Mann von magisch geschulter Empfindsamkeit verband sich das stete Reiben der Handfesseln mit der Wahrnehmung des verbliebenen Hauches vergangenen Elends und früher vergossenen Blutes.
Vollauf mit sich selbst und seinem Kummer beschäftigt, bemerkte er nur wenig neben der Ankunft des düster blickenden Fuhrmannes, dem ein Übel angetan worden war; dennoch waren die Bänke nicht frei von Freunden.
Halliron, der Meisterbarde, war gekommen, gekleidet in all den glänzenden Staat, der ihm nach seinem Rang zustand. Unter dem ordentlichen Umhang schimmerten die safrangelben Streifen an seinem geschlitzten Wams aus schwarzer Waschseide wie Flammen in dem düsteren Saal. Topasbeschläge und Goldbänder blitzten und funkelten, als wollten sie mit beißender Ironie ihren Hohn zum Ausdruck bringen, hatte doch der Hofstaat des Statthalters die gleichen Farben. Neben ihm saß Medlir in brauner Wollkleidung, nur mit einer bescheidenen Brosche am Kragen geschmückt.
Schwach hallte das Stundensignal vom Glockenturm herüber. Unter Schmerzen und Zorn ertrug Dakar die Ankunft des Statthalters, wobei ihm allmählich die Absurdität dämmerte. Er hatte schon Hohekönige gesehen, die eine höfische Zeremonie mit weitaus weniger Pomp eröffnet hatten.
Lakaien in zobelbesetzten Livreen rissen die Saaltüren auf und hielten sie, tief verbeugt, fest. Hellebardiere in schwarzer Rüstung marschierten in Zweierreihen auf, gefolgt von Pagen, die einen goldumrandeten Teppich ausrollten, der jeweils im Abstand eines Meters mit Jaelots Löwenwappen geschmückt war. Ein Mädchen in einem Reifrock, der ausladend über ihre Hüften wogte, streute Rosen. Ihr folgten hochdisziplinierte Sekretäre, deren wollene Roben Marderfellstulpen zierten, begleitet von ihren Dienstburschen, die Mappen und aufgerolltes Schreibpapier trugen, schmuck mit gelbem Band verschnürt. Nun kam ein Richter in schwarzer Samtrobe und weißem Hermelinfell herein, auf dessen Kopf eine Filzmitra thronte, deren Rand mottenzerfressene Bänder schmückten, gefolgt von dem obersten Ratsherrn, der, unter der Last seiner unzähligen Lagen edlen Brokats und gerüschter Stulpen, gebückt wie ein Kranich in der Mauser einherschritt. Zuletzt, weich wie Pudding, erschien der großspurige Statthalter, der bei jedem Schritt leicht schwankte, eingehüllt in eine voluminöse Robe, die von seinen Schultern herab wogte wie ein Segel, das sich aus seinen Halteleinen gelöst hatte.
Gezwungen, einer
Weitere Kostenlose Bücher