Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Weise zu analysieren. Tapfer hielt Elaira ihren Blicken stand, wußte sie doch, daß ihr herausforderndes Gossenverhalten sich nie mit der langjährigen Erfahrung Morriels messen konnte. Als wären ihre Gedanken auf ihrem materiellen Sein eingraviert, war die Korianimatriarchin fähig, die Frage aus ihrer Beobachtung abzulesen, die Elaira im Innersten bewegte und quälte, und ebenso vermochte sie zu sehen, wie schwer der Schlag gegen den Stolz sein mußte, den aufzugeben zwingend erforderlich war, wollte die Novizin je nach den Ergebnissen der Sitzung der vergangenen Nacht fragen.
Vom Scheitel bis zur Fußsohle erstarrt, angesichts des Dranges, geradeheraus zu sprechen, gespannt bis an ihre Grenzen vor einer Wahrheit, die die Macht hatte, sie schmerzhaft zu verwunden, hörte Elaira kaum die tadelnden Worte, die Lirenda an den Pagen richtete. Machtlos, nicht fähig, die Schuld für den Schmutz auf der Livree des Knaben auf sich zu nehmen, bewahrte Elaira duldsam die Ruhe, während das verborgene Taschentuch gefunden und ausgeschüttelt wurde und seine sechsbeinige Last, sehr zum Verdruß der Ersten Zauberin, Zuflucht unter ihrer Robe suchte.
Ein Flackern, zu kalt für Amüsement, glomm in der Tiefe von Morriels Augen. »Aber unsere Suche war erfolglos, mein Kind. Es ist uns nicht gelungen, herauszufinden, wo der letzte Prinz von Rathain sich verborgen hält.«
Elaira war kaum imstande, ihrer zutiefst empfundenen Erleichterung nicht durch einen Seufzer Ausdruck zu verleihen. »Ihr habt gerufen. Wie darf ich Euch dienen?«
»Setz dich«, forderte Morriel sie auf, wobei sie eine einladende Geste tätigte, die, dank ihrer mangelnden Toleranz und den Schmerzen in ihren Gelenken, recht knapp ausfiel. »Unsere Bemühungen sind durch die unerwartete Einmischung der Bruderschaft fehlgeschlagen, doch ihre versuchte Manipulation hat uns im Gegenzug zu neuen Erkenntnissen verholfen.«
Jenseits des Teppichs zerquetschte die Erste Zauberin, Lirenda, das letzte, flüchtende Insekt unter ihrem Absatz. Instinktiv davon überzeugt, daß das plötzliche Ableben des Tieres nicht allein auf einen Fehltritt zurückzuführen war, verkrallte Elaira mit Grausen ihre verschwitzten Hände ineinander.
»Zeig es ihr«, kommandierte Morriel.
Lirenda entließ den gemaßregelten Pagenjungen. Kapitulierend preßte sie die Lippen aufeinander, was den Hochmut ihres Auftretens deutlich trübte, während sie über den Teppich herbeischritt. Die Sonne fiel auf ihren Rücken und warf ihren Schatten über die gezierten, silbernen Siegel, verdunkelte ihre glitzernde Oberfläche, während sie mit raschelnden Röcken vor der heißen Kohlepfanne niederkniete.
Wo Elairas Veranlagungen sie anhielten, ihre Beschwörungen durch das Wasser zu leiten, da nutzte Lirenda für ihren Zauber das Feuer. Eins mit dem Willen ihrer Obersten, schloß sie die Augen und sank in eine leichte Trance.
Als die Schülerin Morriels, die dereinst ihre Nachfolge antreten sollte, verfügte Lirenda über beeindruckende Macht. Ein donnernder Energiestrom ergoß sich über ihre Nerven, und Elaira hatte Mühe, ihre bösen Ahnungen zu bezwingen. Nur allzu schnell veränderte sich der Charakter der rotgoldenen Kohlenglut, wandelte sich zu kaltem Blau, das weder Licht noch Wärme spendete. In der veränderten Energie des Feuers entstand langsam ein Bild; zunächst ätherisch wie ein magischer Faden in alten Lumpen, gestaltete sich ein verschmelzendes Muster, das schließlich zu einer klaren Anordnung heranreifte. Kraft Lirendas Bewußtsein offenbarte sich ein Netzwerk visionärer Kunst vor Elairas Augen, gefolgt von einer Tragik, die schwer genug wog, durch Elairas Wesen und Willen zu stürmen und ihren Herzschlag im selben Augenblick anzuhalten. Sie erkannte das Muster, das, dargestellt nach der Vorstellung der Bruderschaft, dem der lebendigen Aura Arithon s’Ffalenns glich.
Sie keuchte. In unmißverständlicher Deutlichkeit trat das Selbst dieses Mannes mit all seinen Details offen zutage. Wie niemals zuvor erkannte sie nun, wie sich Hellsichtigkeit und Erbarmen, Macht und Empfindsamkeit, Härte und Bedauern miteinander verbanden, ohne je vereinbar sein zu können. Morriels Furcht, die zusätzliche Bürde durch Desh-Thieres Fluch könnte den Riß in diesem Geist mit einem tragischen Potential erfüllen, aus der nur mehr Wahnsinn würde sprießen können, war durchaus verständlich.
Es oblag der Verantwortung des Ordens, niemals eine Macht zu dulden, die einen latenten Hang zu
Weitere Kostenlose Bücher