Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
schmachtete Dakar, gleich einem Häufchen Elend, an Händen und Füßen angekettet, in seiner zerrissenen Hose und schmutzigen Hemdsärmeln. Das Handgemenge, das seine erneute Gefangennahme verursacht hatte, hatte ihn ganz offensichtlich seine schmucken orangefarbenen Kleider mit den edlen Ärmelborten gekostet.
»Nun, zumindest bin ich erfreut zu sehen, daß dieses Wams nicht mehr länger existiert. Irgendwo in Jaelot muß es wohl einen Gardesoldaten mit einem naturgegebenen Sinn für Eleganz geben.« Hallirons trockener Sarkasmus wich sogleich tiefem Zorn, als er hinzufügte: »Die Ketten stellen einen unverzeihlichen Affront dar.« Den kunterbunten Stuhl, der erwartungsfroh vor einem Podest auf ihn wartete, würdigte er nicht eines Blickes.
Hinter ihm sah sich Medlir, von seinen eigenen, ruhelosen Instinkten getrieben, dazu veranlaßt, die Lyranthe auszupacken. Sanft begann er, die silbernen Saiten zu stimmen. Da er sich pfiffigerweise mitten in der Tür aufgestellt hatte und so dem Butler den Weg versperrte, kündete niemand von ihrer Ankunft. Niemand bemerkte die reglose Gestalt des Meisterbarden, goldgeschmückt in edler, schwarzer Seide, bis, aufmerksam geworden durch das Flüstern eines Dienstboten, ein Gast auf der Rückseite des Raumes mit dem Finger auf ihn deutete. Kurz lebte die Konversation auf, als auch die übrigen Gäste sich seiner Anwesenheit bewußt wurden, ließ dann nach und verklang, als hätte ein Stein eine glatte Wasseroberfläche durchbrochen und sanfte Wellen ausgesandt, die sich kreisförmig ausbreiteten und schließlich wieder legten.
Gerade im Begriff, von einem Stück Zuckerwerk abzubeißen, erstarrte der Statthalter von Jaelot mitten in der Bewegung. Vom Ellbogen seiner Frau getroffen, deren dunkel geschminkte Augen über den Rand ihres rosafarbenen Federfächers hinweg von der Anwesenheit des Barden kündeten, ließ er seine Gabel sinken und machte sich bereit, eine pompöse Ansprache anzustimmen.
Der Meisterbarde wußte den Augenblick zu nutzen. Rasch nahm er Medlir das unverhüllte, glänzende Instrument ab und kam sodann einer prahlerischen Rede des Statthalters zuvor. »Ich werde nicht für Eure Gäste spielen, ehe der Mann, den auszulösen ich versprochen habe, nicht von seinen Fesseln befreit ist.«
Träges Interesse ergriff Besitz von den vollauf gesättigten Tischgästen, als er seinen Schüler anwies, auf ihn zu warten und die offene Treppe im Inneren des Festsaales hinaufstieg. Leises Flüstern begleitete jeden seiner Schritte, während etliche Damen, trunken von edlem Wein, hinter ihren mit zahllosen Ringen geschmückten Händen kicherten. Halliron schenkte ihnen keine Beachtung. Ohne Kopfbedeckung fiel sein silbernes Haar in sanften Wellen über seinen goldumrandeten Kragen, als er durch die Mauerbögen der Galerie schritt und sich schließlich vor dem Podest präsentierte.
Der Statthalter Jaelots lächelte ihn an. »Der Gefangene wird die Freiheit erhalten, sobald Ihr Euer Wort eingelöst habt. Und ich dulde in meinem Festsaal keine Impertinenz, schon gar nicht vor meiner Gemahlin und ihren Gästen. Ihr solltet Euch um Angemessenheit bemühen, denn wer sich in dieser Stadt des Eidbruchs schuldig macht, der könnte mit dem Tod bestraft werden.« Sodann gab er mit den Fingern ein Zeichen.
Hellebardiere in schmucken Livreen eilten aus den Säulengängen herbei. Andere näherten sich von den Seitentüren und aus der Vorhalle. Am Kopf der Treppe fand Medlir sich flankiert von den wenig erfreulichen Spitzen angriffsbereiter Waffen wieder. Er zeigte keinerlei Reaktion. Seine ganze Aufmerksamkeit galt nach wie vor seinem Meister, während seine Hände die lederne Hülle der Lyranthe samt Verschnürung zu einem Knoten wanden.
Halliron verschwendete seinen Atem nicht für eine nutzlose Diskussion, sondern wirbelte auf dem Absatz herum, wobei sein Topasschmuck im Feuerschein hell aufblitzte. Er stellte seinen Fuß auf einen Polsterstuhl, barg die Lyranthe, die letzte ihrer Art in ganzen fünf Königreichen, an seinem Leib und spielte einen raschen Lauf, um den Ton zu prüfen. Wie stets, hatte sein Schüler das Instrument auch heute perfekt gestimmt. Durch die Umstände des Vergnügens beraubt, sich seiner üblichen Theatralik zu ergeben, brachte er die Saiten unsanft mit der Handfläche zum Schweigen, ehe er lebhaft herausfordernd den Kopf zurückwarf.
Eine Melodie brach unter seinen Fingern hervor. In Dur erklangen Noten in rascher Folge und leiteten sogleich zu einer
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