Der Fluch des Nebelgeistes 03 - Die Schiffe von Merior
Stadt, deren Dächer von dem abgelagerten Ruß der Kohlefeuer geschwärzt waren, die die Menschen nutzten, sich vor der feuchten Seeluft zu schützen.
»Es ist schwer zu glauben, daß dieser Ort einst Schauplatz paravianischer Mysterien war«, kommentierte Halliron den Anblick, während in der Nähe Hufe klapperten und vergoldete Wagenräder knarrten. Fußgänger verstopften die Straße, Liebespaare in Mänteln und Masken eilten lachend herbei, um an den Freudenfeuern zu tanzen, während Straßenhändler ihre unverkauften Waren in Handkarren nach Hause zerrten. »Einst verlief die Energie des Sechsten Weges durch diese Landzunge. Zur Sonnenwende sollte man den Puls des Erdengesanges durch die Schuhsohlen hindurch fühlen können. An jedem anderen Ort, an dem einmal die Einhörner getanzt haben, ist zumindest ein geisterhaftes Echo verblieben.«
Medlir schüttelte den Kopf. Die Empfindsamkeit, die ihm früher zu eigen war, war nun durch eine Macht mit Taubheit geschlagen, die noch weit unbarmherziger war, als die geschmacklose Arroganz Jaelots. Der Geruch von Jasmin und Lavendel vermengte sich mit dem Dreck, den das Schoßhündchen irgendeiner Dame der oberen Gesellschaftsschicht in der Gosse hinterlassen hatte. Neben den trappelnden Schritten eines davonlaufenden Straßenkindes erklang das Fiepen einer Ratte, während, weiter weg, in der Bucht, die Brandung gegen die Wellenbrecher schlug und ihren unermüdlichen Refrain erklingen ließ. In einer Ecke der Straße wuchs eine Kletterrose, deren herabgefallene Blütenblätter der Wind über das Pflaster wehte. Die Säulenfassade des Palastes des Statthalters erhob sich gleich mehrlagigem, weiß gezuckertem Konfekt am Ende der Sackgasse. Kerzenlicht spiegelte sich auf den Scheiben der Rundbogenfenster.
»Mit ein bißchen Glück haben wir das dumme Festessen bereits verpaßt.« Halliron stieg die Treppe zum Eingang hinauf wie ein Mann auf dem Weg zu seiner Hinrichtung. Lautlos versanken seine Sohlen bei jedem Schritt in dem schwarz-goldenen Teppichläufer, der anläßlich dieser besonderen Gelegenheit ausgelegt worden war, und auf jeder Stufe standen Bronzeurnen, vollgestopft mit Pfingstrosen, wie Soldaten in Reih und Glied.
Einer der Bediensteten an der Tür streckte eifrig die Hände aus, um sich der Lyranthe anzunehmen. Medlir jedoch wich der Geste, zur tiefsten Verärgerung des Dienstboten, so hastig aus, als hätte eine Viper ihn angegriffen. Ein rundlicher, kahler Butler eilte herbei, um sich nach der Ursache des Wirbels umzusehen. Beinahe wäre er über den Meisterbarden gestolpert, der einen ganzen Kopf größer war und, geschmückt mit eleganten Ketten und Topasknöpfen, direkt an der Türschwelle wartete.
»Ath, Ihr seid es tatsächlich«, rief der Butler. »Mein Lord, der Statthalter, ist bereits ganz aufgebracht. Tretet ein, schnell, schnell! Wirklich unangenehm, daß Ihr so spät eingetroffen seid, die Herrschaften sind schon beinahe mit ihrem Dessert fertig.«
Medlir und Halliron erduldeten des Mannes herrische Art, sie durch eine mit Blumen üppig geschmückte Vorhalle und durch die Doppeltür in den großen Saal zu scheuchen. Von dem abgesenkten Mosaikboden bis hin zu der gewölbten Decke erstrahlte der ganze Raum. Wachskerzen und unpassend warme Kleidung erfüllten die Luft mit einer drückenden Hitze. Der Geruch edlen Fleisches, feiner Soßen und ausgesprochen kostspielig parfümierter Menschen überwältigte die Sinne in wahrhaft atemberaubender Weise.
Halliron ließ seinen feindseligen Blick über die Dekorationen der Säulengänge mit ihren goldenen Pfeilern gleiten. Schmuckbänder hingen von den Bögen aus Gipsorchideen herab und spannten sich über Tische, die sich unter der Last all der Kostbarkeiten bogen. Das Dröhnen zu vieler Stimmen steigerte sich zu peinigenden Wogen endlos widerhallenden Lärms.
Zum Zwecke des Essens bar ihrer gefiederten Masken, lungerten die Aristokraten Jaelots auf bequemen Kissen herum, ergingen sich in standesgemäßer Konversation oder geistreichen Bemerkungen. Goldpuder und Juwelen narrten das Auge mit aufblitzenden Lichtreflexionen. Rauschgoldene Rüschen abgelegten Staates lagen sorgfältig aufgereiht wie die Waren einer Hutmacherin neben Kobolden aus Pergament und Seide, deren rosige Wangen und bloße Hinterbacken sich übergangslos der offenen Darbietung mangelnden Kunstsinnes anglichen.
Einen krassen Kontrast dazu bildete das Gerüst, das an einem Pfeiler inmitten des Saales errichtet worden war. Dort
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