Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
Blut aus seiner Schulterwunde benetzte sein zerrissenes Hemd und hinterließ rote Flecken auf dem geweißten Fichtenholz der Bodenplanken. Endlich rührte er sich wieder. Er verschränkte die zarten, schmalen Finger über dem kupferroten Haar jenes Caithdeins, der ihn mißhandelt hatte, der seinen königlichen Willen mit der Klinge eines Schwertes gebrochen hatte, um eine grausame Strategie ihrem Ende entgegenzulenken.
»Jieret«, wisperte er. Spuren getrockneter Tränen zeichneten sein Gesicht. Der Wind, der durch die zerbrochene Scheibe hereinwehte, trieb ihm wirre Strähnen zerzausten Haares auf die Wangen. »Erhebe dich, Mann, ich bitte dich. Wir beide vertrauen einander wie Brüder. Welcher Stolz, welche Würde, sollte mir noch geblieben sein, die nicht zur Gänze diesem Fluch zum Opfer gefallen ist?« Der leidenschaftliche Ton, der sich plötzlich seiner Stimme bemächtigte, offenbarte ein Herz, erfüllt von beißender Verbitterung. »Wenn Zerstörung und Verzweiflung einen Grund zur Genugtuung liefern können, so solltest du dir ein Herz nehmen und dich stolz aufrichten. Zählen wir nur die brennenden Planken und die Wrackteile auf See, so haben wir einen geradezu überragenden Sieg errungen.«
Gewiß, nun würde sich keine Armee mehr gen Merior einschiffen, den Herrn der Schatten niederzuringen.
Abrechnung
Auf den von Rauchschwaden verhüllten Zinnen von Werende stand Lysaer s’Ilessid unter der strahlenden Sonne im eisigen Wind und betrachtete das endlose Panorama zerstörter Hoffnungen. Dieser Schicksalsschlag war so unendlich niederschmetternd, so unfaßbar; Jahre sorgfältiger Planung waren innerhalb weniger Stunden einer diabolischen Heimtücke zum Opfer gefallen. Draußen in der Bucht zogen Ruderboote ihre Bahnen, zu retten, was nach diesem Überraschungsangriff des Herrn der Schatten im Gewässer des Hafens noch zu retten war.
Müde Ruderer bahnten sich im Zickzackkurs ihren mühevollen Weg durch das Chaos dahintreibender Balken und rauchender Wrackteile. Sie tauchten ihre aufgeschürften Hände in das beißende Salzwasser, um Männer, mehr tot als lebendig aus der eisigen See, an Bord zu hieven. Zu viele von ihnen schrien vor Schmerzen aufgrund ihrer schrecklichen Verbrennungen, und der holprige Rückweg zur sicheren Küste schien mehr zu erfordern, als ihre wunden Leiber noch zu ertragen imstande waren.
Ihre Schreie gingen Lysaer durch Mark und Bein. Er allein hatte die Katastrophe zu verantworten, die sich mit all ihren Zerstörungen und ihrem Leiden vor seinen Augen ausbreitete. Mühsam widerstand er dem Drang, sich die Augen zu reiben, um das Brennen der groben Asche auf seinen Augäpfeln zu lindern. Auch würde er gewiß nicht verzagen und sich zurückziehen, um seinen Kummer im stillen zu pflegen.
Er kam sich vor wie ein Narr.
Kalter, bitterer Zorn erfüllte ihn angesichts des Mißgeschicks, das ihn seine Flotte gekostet hatte. Selbst in der Hitze des Gefechts hätte die gemäßigte Vernunft, die jeden guten Regenten auszeichnen sollte, die Oberhand behalten müssen: Er hätte wissen müssen, daß die angreifende Flotte fremder Zweimaster nur eine Illusion hatte sein können. Nicht einmal unter der Anleitung eines Zauberers hätten menschliche Handwerker zu Merior seit dem Bau der Werft im vorangegangenen Frühjahr so viele Schiffe fertigstellen können.
Unter all seinen Offizieren und Kapitänen hatte Lysaer allein über das notwendige Wissen verfügt, diese von dämonischer Schlichtheit geprägte Hinterlist rechtzeitig zu durchschauen.
Vor acht Jahren war er in einer schmutzigen Gasse in Etarra Zeuge geworden, wie sein Halbbruder seine Schatten zum Entzücken einer Horde zerlumpter Kinder zu einem Schiff von der Größe eines Spielzeugs geformt hatte. So klein das Boot auch gewesen war, nichts weiter als die Kreation einer wohlgestimmten Phantasie, waren doch sowohl seine äußere Erscheinung als auch seine Bewegungen im Wind perfekt bis ins kleinste Detail gewesen. Überdies hatte Arithon am Ufer des Tal Quorin deutlich bewiesen, daß seine Sorge um die Kinder nichts weiter als ein bösartiges, heimtückisches Schauspiel gewesen war, Lysaers Argwohn zu ermatten und sein Vertrauen zu gewinnen.
In der Minderlbucht hatte er sein Spiel der Illusionen mit weit größerem Einsatz erneut inszeniert, doch dieses Mal hatte er lebensgroße Schiffe geschaffen, geeignet, blutigen Zoll von den Lebenden zu fordern.
Lysaer hielt sein Gesicht in den Wind, ließ ihn in seinen Haaren
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