Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
Medhr, fiel es dem Herrn der Schatten nicht schwer, sich einen unauffälligen Anschein zu geben.
Da Geduld noch nie zu Dakars Stärken gezählt hatte, war er an jenem Tag sturzbetrunken, an dem die zusammengeflickte Schaluppe, die Arithon geheuert hatte, neue Planken zu verschiffen, den südlichsten Punkt ihrer Reise erreicht hatte. Von einem Schlingern halbbewußtlos herumgeschleudert, tastete Dakar um sich, nur um gleich darauf festzustellen, daß seine Flasche bereits leer war. Hundemüde, zu träge gar, dieses Versehen zu bedauern, sank er zurück, die Augen geschlossen, und lauschte den Gesprächen, die gerade auf Deck stattfanden.
Klar vernahm er über den Schreien der Möwen, den donnernden Schritten der Matrosen und dem Kreischen der Ankerwinde die Stimme des Herrn der Schatten, der seine Absicht verkündete, in einer kleinen Bucht bei Merior von Bord zu gehen.
Zu gelangweilt, sich Gedanken über die Motive des s’Ffalenn zu machen und zu betrunken, sich daran zu erinnern, daß Merior ein verschlafenes Tropennest war, in dem es nichts als ein paar baufällige Fischerhütten gab, kroch der Wahnsinnige Prophet aus seinem beschatteten Lager zwischen den Decks hervor. Er schlängelte sich an den Frachtkisten und Arithons fest verzurrtem Fichtenholz aus der Sägemühle vorbei und stieß sich bei dem Versuch, die Kajütstreppe hinaufzusteigen, beide Schienbeine und einen Ellbogen an. Unbeeindruckt angesichts der Prellungen und der kränkenden Flüche der Seemänner, die herbeieilten, die Leinen zu entwirren, die er auf seinem Weg durcheinandergebracht hatte, taumelte Dakar voran, während andere Matrosen sich aus sicherer Entfernung in der Takelage in spöttischen Ermutigungen ergingen.
»Nur keine Aufregung! Wenn die fette Landratte von Bord gehen will, dann gebt ihm seine schmutzigen Stiefel und seid froh, daß wir ihn los sind.«
Dakar schwankte auf unsicheren Beinen in einer Wolke guten Whiskeys über das Fallreep an Land.
Die Häuser von Merior duckten sich in eine halbmondförmige, kleine Bucht, gesäumt von Riedgras und Palmen, eingekerbt in eine schmale Halbinsel, die sich hakenförmig um das aquamarine Becken der Sickelbucht erstreckte. Hier rollten große Sturzwellen, genährt aus den endlosen Tiefen des Cildeinischen Ozeans, ungehindert und von weißem Schaum gekrönt an eine Landspitze, die kaum drei Wegestunden weit war. Tag und Nacht im Schatten der herandonnernden Wellen, war dieses Dorf die letzte, einsam gelegene Ansiedlung. Ihr folgte nurmehr ein Streifen aus Sandbänken und Korallenriffen, die immer weiter zerfaserten, je näher man der von steter Flut umschäumten Scimlade-Landspitze kam. Die Liegeplätze waren zu beengt für Handelsschiffe. Sie rühmten sich nicht eines Wellenbrechers oder befestigter Docks. Auf einem schiefergedeckten Holzturm brannte ein Signalfeuer für Fischerboote, die bei schlechtem Wetter an Korkbojen vertäut wurden, welche wie Perlen überall in der Bucht verteilt waren.
Kaum betrat Dakar festen, trockenen Boden, da stolperte er schon, fiel zurück und landete auf dem Hosenboden. Grunzend entwich die Luft seinen Lungen, gefolgt von einem Schluckauf, der quiekend seiner Kehle entstieg.
Die einzigen Menschen, die in der Nähe waren, seine Kapriolen zu bewundern, waren zwei zerzauste Kinder, die mit spöttischer Miene in lautes Gelächter ausbrachen.
Blinzelnd wie eine Eule betrachtete Dakar sie. Verdrossen, vor Kindern, die kaum acht Jahre alt sein mochten, zum Objekt der Lächerlichkeit geworden zu sein, löste Dakar Seetang von seinem Knöchel und hielt sich den Kopf, um das grauenhafte Pochen zu lindern. Der Himmel war so blau und wolkenlos, daß es regelrecht schmerzte, hinaufzusehen. Vor den dichtgeschlossenen Reihen der Palmwedel trockneten stinkende Fischernetze, in denen gläserne Schwimmer neben Tontalismanen zur Abwehr von Iyats glitzerten. Dem fernen Bellen eines Hundes antwortete das Gebrüll eines Seemanns. Grimmig reflektierte der weiße Sand die südliche Sonne, und bis zur Flutmarke glitzerte allerlei Strandgut im hellen Licht. Zu erledigt, sich darum zu kümmern, ob er möglicherweise in irgendeinem gräßlichen Dreck saß, ließ sich der Wahnsinnige Prophet auf seine Ellbogen zurücksinken. »Ich weiß nicht, was hier so lustig ist«, beschied er den kichernden Wirrköpfen.
Ein Schatten fiel über sein Gesicht, verursacht von Arithon, der soeben mit einem sperrigen Balken über der Schulter an Land gekommen war.
»Bist du ein Käpt’n?«
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