Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
geradezu schmerzhaft spröde wirken ließ. »Ihr macht es mir nicht leicht.«
Der Meister drehte eine leere Nagelkiste um und setzte sich, die Hände locker über die Knie gelegt. »Ich weiß recht gut, warum Ihr gekommen seid. Ihr wollt mir sagen, daß Eure Kinder ohne meine Gesellschaft besser aufgehoben wären.«
Jinesse zuckte zusammen. Um das Zittern zu verbergen, daß durch ihre Salbeizweige allzu deutlich erkennbar war, öffnete sie ihre zarten Finger und schleuderte das welke Sträußchen von sich. Wie schwierig es sich auch gestalten mochte, doch die Sache mit dem Boot genoß absoluten Vorrang. »Ihr müßtet doch wissen, daß sie dazu bestimmt sind, bei einem Handwerker in die Lehre zu gehen.«
Von seinem tiefer gelegenen Sitzplatz aus durchdrang sein Blick mühelos ihre Rüstung aus Ölzeug. So vertraulich, wie er sie zuvor berührt hatte, glitt nun sein Blick über ihre Züge, die trockene Haut und die alternde Schönheit ihres Gesichtes, ehe er zu dem fahlen Haar über ihren Schläfen wanderte.
Über ihre eigene übertriebene Nervosität verärgert, erkannte Jinesse überdies, daß er offensichtlich nicht die Absicht hatte, ihr entgegenzukommen und den Anfang zu machen. »Meine Kinder haben ihren Vater an die See verloren. Ich will nicht dabei zusehen müssen, wie sie ebenfalls mit einer Logger Schiffbruch erleiden, doch ihre Bekanntschaft mit Euch macht das sehr schwer.« Sie brach ab, verstummte unter dem Druck ihrer eigenen Furcht.
Die ganze Zeit über hatten sie einander in die Augen gesehen, nun war Arithon es, der den Blickkontakt abbrach. Hinter seinen herabfallenden Haarsträhnen blieb sein Gesichtsausdruck unverändert nichtssagend, als die Schönheit seiner Stimme die eiserne Härte ihrer Entschlossenheit zum Schmelzen brachte. »Ich bin ganz Eurer Meinung.«
»Dann werdet Ihr also das zweite Boot verkaufen.« Nachdem nun alles erledigt war, machte sie Anstalten, sich zu erheben, stieß jedoch sogleich an ein Hindernis. Wollte sie nicht ihre Röcke heben und über den Mann hinwegsteigen, so saß sie inmitten der Holzstöße in der Falle.
Das Lächeln, das den ihr zugewandten Mundwinkel umspielte, offenbarte, daß er nichts anderes bezweckt hatte. »Das Boot wird nicht mit Euren Kindern sinken, noch wird die See ihnen ein Übel zufügen. Der Mangel an Wissen wird jedoch gewiß beides tun.«
Zu gereizt, noch länger schüchtern zu sein, rief Jinesse aus: »Ihr Männer müßt auch jede einfache Sache zu einer komplizierten Angelegenheit aufbauschen.«
»So einfach liegen die Dinge aber nicht«, sagte Arithon.
»Ich will nicht, daß ihre Zukunft vom Fischen abhängt, könnt Ihr das verstehen?« Er hielt sich nun lange genug in Merior auf, er mußte die verkrüppelten alten Männer gesehen haben, wenn er nachmittags auf der Veranda des Gasthauses gesessen hatte; er kannte ihre schrecklich aufgequollenen, arthritischen Hände; oder die vernarbten, verstümmelten Finger, die nicht mehr fähig waren, die Netze aus dem Wasser einzuholen.
Ja, er hatte sie gesehen, das erkannte Jinesse zweifelsfrei, als er ihr das Gesicht zuwandte. Die Barmherzigkeit in seinem herausfordernden Blick und seine ruhige Duldsamkeit ließen in ihr den Verdacht aufkeimen, daß er auch schon herbe Verluste erlitten haben mochte.
»Der Vater der Zwillinge ist gestorben«, sagte er. »Wollt Ihr ihnen Eure Angst zum Vermächtnis machen? Wollt Ihr sie in Unkenntnis halten, sie zwingen, sich von dem abzuwenden, was ihnen Freude macht, da doch die See in ihren Herzen pulsiert?«
Unter dem schrecklichen, schmerzenden Drang, weinend zusammenzubrechen, wisperte Jinesse: »Streitet nicht mit mir. Laßt uns einfach gehen. Baut Eure Schaluppe, und dann verlaßt unsere Stadt.«
»Ich werde all das tun«, versprach Arithon. Ein weniger sensibler Mann hätte möglicherweise versucht, sie durch eine Berührung zu beruhigen. Dieser jedoch tat nichts dergleichen. Er sprach nur mit jener Stimme, die erbarmungslos all ihre schützenden Mauern durchbrach, die sie über ihrem unendlichen Schmerz errichtet hatte. »Aber zuerst werde ich Euch ein Geschenk machen. Laßt mich Eure Zwillinge die Kunst der Seefahrt lehren, so wie mein Vater sie mich gelehrt hat. Ich werde ihnen die See schenken und eine Freiheit, die weit größer ist als ein Fischerboot, und Ihr mögt Euer Herz befreien und lernen, ohne Furcht auf ihre Rückkehr zu warten.«
Er bewegte sich. Ehe sie noch zum Protest ansetzen konnte, hatte er sich bereits erhoben. Als er
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