Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
beeindruckender und unheilvoller als die schlichte Liebe zur Seefahrt glauben machte. Sie wollte nichts mit seinen magischen Geheimnissen zu schaffen haben, und die entsetzliche Sorge um ihre Kinder verursachte ihr Übelkeit.
»Ihr seht müde aus«, sagte Claithen. »In der Speisekammer haben wir Kräutertee in Steintrögen und frisch gebackene Kekse.«
»Nein, danke.« Rasch erhob sich Jinesse, und auf dem zerknitterten Pergament in ihrer Hand zeigten sich verwünschenswerte Streifen verschmierter roter Kreide. »Ich muß zurück nach Merior. Ihr habt mir sehr geholfen. Wenn der nächste Wagen abfährt, werde ich Euch einen Korb mit Eingemachtem schicken.«
Mit einer Miene freundlichen Tadels sah Claithen zu ihr auf. »Das ist nicht nötig. Die Welt selbst in ihrer Weisheit versorgt uns mit allem, was wir brauchen.« Er löste eine Hand von seinem Buch und deutete auf den ausgedehnten Hain der Zitrusbäume. »Falls Euch Arithon von Rathain begegnet ist, so wisset, er wird Euch kein Leid zufügen. Das Erbe seiner Blutlinie gestattet ihm keinerlei Grausamkeit, und Aths unendliches Erbarmen begleitet Euch auf Euren Wegen.«
Atemlos zuckte Jinesse zurück. Nie sollten ihre Kinder von diesem Dilemma erfahren. Ihr Freund war der Herr der Schatten, und sollte er bleiben, so würden seine Feinde Merior heimsuchen. Er flüchtete vor dem ganzen Norden, und ihre Stadt war nicht groß genug, ihm einen schützenden Hafen zu bieten.
»Ich weiß nur wenig über Aths Erbarmen«, flüsterte Jinesse. Ihr eigener Ehemann war in einem von Aths Stürmen ums Leben gekommen.
»Dann werden das Leben und der Prinz Euch lehren.« Nicht länger mehr gelassen, stand der Eingeweihte Bruder auf. Ein letztes Mal bedachte er sie mit einem forschenden Blick, der, gleich dem bitteren Geschmack der Aloewurzel, all die Furcht in ihrer Brust zu umfassen schien. »Der Tag wird kommen, da wir uns hier wiedersehen. Nun aber werde ich Euch zum Tor geleiten, denn, so leid es tut, meine Bibliothek hat Euch keine weitere Hilfe zu bieten.«
Qualvolle Zweifel begleiteten jeden ihrer mühseligen Schritte auf dem Weg zurück nach Merior. Unentwegt wog sie den jüngsten Sieg ihrer Kinder über die Traurigkeit und ihre eigene, zerbrechliche Freude ob ihres Glücks gegen die düsteren Gerüchte ab, die sich um den nun offengelegten Namen ihres Wohltäters spannten. Wie eine Last bedrückte sie die Wahrheit hinter Arithons Verschwiegenheit, und die Erinnerung an seine Freundlichkeit schmerzte nur um so mehr. Wenn er im Verborgenen eine List aushecken sollte, so war sie von einer Tiefgründigkeit, die sich ihrem Zugriff verweigerte.
Schüchtern wie sie war und wenig geneigt, dem Mann gegenüberzutreten, ließ sie den Tag zu Ende gehen, ohne etwas zu tun, um die Freundschaft ihrer Kinder zu ihm zu unterbinden.
Erneut kam jemand aus der Fremde nach Merior, eine Frau, die ein kleines Landhaus mietete und dort einen Laden für Heilkräuter eröffnete. Dieser neue Komfort stieß bei den Einheimischen auf Wohlwollen. Zuvor hatte es lediglich in Shaddorn, im Süden, eine Apotheke gegeben, und wenn ein Kind erkrankte oder ein Fischer sich eine Verletzung zuzog, so war der Weg zur Herberge der Eingeweihten Aths lang und beschwerlich. Die Matronen des Ortes klatschten bei den beiden Handelsleuten der Stadt und fragten sich, ob die Ankunft dieser Frau irgend etwas mit dem anderen Fremden zu tun haben mochte, der derzeit die Muschelfelder bewohnte. Nur Jinesse wußte, daß ihre Mutmaßungen durchaus berechtigt waren, und sie blieb stets wachsam, wenn sie auch ihre Meinung für sich behielt.
Winzig wie Merior auch war, hielten die Leute doch Abstand zu Fremden. Kein Wort über die Anwesenheit der Frau drang zu den beiden durch, die vermutlich am meisten Interesse an ihr gezeigt hätten, und trotz der heftigen Neugier der Ortsansässigen ging ihrem Besuch auf dem Muschelfeld keine Ankündigung voraus.
Von einem alten Säufer geleitet, stemmte sie sich in ihrem grauen Wollmantel gegen die steife Seebrise, während der Mann sie nuschelnd mit Informationen versorgte: »Ihr werdet den Mann schon finden, gnä’ Frau. Folgt einfach dem Fußweg zur Landspitze hinaus und lauscht auf die Hammerschläge.«
Dieser Herbst war glücklich verlaufen. Keine todbringenden Stürme hatten die offene Ostküste vom Cildeinischen Ozean aus verwüstet. Die Mangroven, die die geschützte Bucht säumten, hüllten sich in üppig glänzendes, regennasses Blattwerk. Umgestürzte Baumstämme,
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