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Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht

Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht

Titel: Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janny Wurts
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etwas Warmes in ihre kalten Hände legte, hätte sie die Narben beinahe übersehen, die eine Handfläche und beide Handgelenke entstellten. »Hier. Nehmt dies als Pfand. Eure Kinder sollen alles bekommen, was sie zu ihrer Sicherheit benötigen, und Ihr werdet Euch an ihrem Können erfreuen.«
    Jinesse betrachtete den Einsatz, den er ihrer persönlichen Schwäche entgegenstellte: ein zerkratzter Siegelring aus Weißgold, auf dem ein Smaragd prangte, den ein kunstvoller Leopard zierte. Der Ring war ein Erbstück, und mit ihm schenkte er ihr sein Vertrauen. Merior war zu klein und unbedeutend für einen Mann von seiner Ausstrahlung; der ganze Ort fragte sich, wovor er Zuflucht suchen mochte, vor welchen Schwierigkeiten er geflohen sein mochte. Mit dem Siegelring gab er ihr ein Mittel in die Hand, seinen Familiennamen und seine Herkunft ausfindig zu machen, falls sie es wünschte.
    Der feierliche Ernst, mit dem er sie nun anblickte, zeigte deutlich, wie gefährlich dieses Wissen war, das den Schlüssel zu seinen verborgensten Geheimnissen darstellte. »Jinesse, wenn Ihr nach sechs Monaten noch immer wollt, daß Eure Kinder an Land bleiben und bei einem Handwerker lernen, so werde ich Euch auch dabei unterstützen. Aber bis dahin laßt ihnen das Boot. Gebt mir soviel Zeit, um Euer Vertrauen zu erlangen.«
    »Laßt sie mit dem Boot nicht so weit vom Ufer fort«, bat sie, und das Beben ihrer Stimme verstärkte noch ihren Rummer.
    Er lachte, und in seiner Stimme klang die Erleichterung wie eine fröhliche Melodie. »Ich wollte sie eigentlich im Garthsee üben lassen. Ihr müßt es nicht mitansehen. Ich werde mich selbst um ihre Ausbildung kümmern.«
    Der Himmel zog sich zu. Eine plötzliche, steife Brise fegte durch die Palmwedel neben dem Hafen und schüttelte die schiefhängende Tür der Hütte. Holzsplitter flogen auf wie herbstliches Laub und verfingen sich in ihrer Trauerkleidung. Neuerlicher Regen überzog die Boote, die an den Korkbojen auf die zurückkehrenden Fischer warteten, mit einem silbernen Schimmer. Noch immer quälte Jinesse der Schmerz, dachte sie an das Boot, das nun nicht mehr gebraucht wurde, und sie verkrampfte ihre Hände unter dem kühlen Ölzeug ineinander.
    Die Geheimnisse, die den Fremden umgaben, ängstigten sie ebenso wie die Frage, in welcher Weise er sie noch erweichen würde, bliebe sie noch länger, also ließ sie sich bereitwillig von ihm über das Muschelfeld bis zu dem Pförtchen am Marktplatz geleiten.
    Und dann fiel der Regen in dichten Tropfen und verschluckte den Mann.
    Als sie schließlich ihr kleines Häuschen mit dem moosbewachsenen Zederndach erreichte, dessen Tür mit allerlei Talismanen behängt waren, die ihren Mann doch nicht vor den Wellen hatten retten können, peitschte ein kräftiger Sturm über den sandigen Landstreifen. Arithons Ring fühlte sich in ihrer Hand an wie ein Eisklumpen. Tagelang ließ sie ihn unberührt auf dem Boden ihres weidegeflochtenen Nähkorbes liegen. Sie war kein Tratschweib, das nichts anderes zu tun hatte, als in der Vergangenheit eines Fremden herumzuwühlen.
    Und doch, während der Nacht, als die Zwillinge schliefen und die Wogen ruhelos gegen die Landspitze donnerten und sie an den grausamen Raub erinnerten, zertrümmerte die Last der Trauer und der Einsamkeit ihre guten Vorsätze. Sie ergriff den Korb und fischte den dunklen Smaragd aus seinem Nest aus Nähgerät und Garnen und fertigte einen Wachsabdruck von ihm an. Mit Kreide kopierte sie das Leopardensiegel und die sonderbaren Runen, die in die Innenseite des Rings eingeprägt waren.
    Mit ihren Zeichnungen in der Tasche machte sie sich am nächsten Morgen auf dem alten, knarrenden Wagen eines Kesselflickers auf den Weg, die Küste hinab, nach Shaddorn. Eine Enklave der Eingeweihten des Ath betrieb dort noch immer eine Herberge, ein wenig abseits gelegen in der Sickelbucht. Diese Herberge wollte sie aufsuchen, um ihre Fragen zu stellen.
    Die Gerüchte besagten, daß das Verschwinden der Paravianer die alte Ordnung außer Kraft gesetzt hätte. Gewiß, die gewundene alte Straße, die zu der Herberge führte, war von beiden Seiten mit Rankengewächsen überwuchert. Das Steingebäude war mit moosbefleckten Siegeln überzogen, die unheimlich anzusehen waren und Jinesse eine Gänsehaut über den Leib jagten. Das Gelände, auf dem die Herberge stand, machte einen ungepflegten Eindruck. Hüfthoch wucherten Fenchel und üppiger wilder Wein. Wie die meisten uneingeweihten Besucher, wußte auch Jinesse

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