Der Fluch des Nebelgeistes 04 - Die Saat der Zwietracht
Küstenregion, und Pfiffe der Matrosen, die die Docks bevölkerten, klangen sonderbar lyrisch.
Dann dämpfte Arithon den Ton der Lyranthe und erhob sich, nur ein Fremder von königlichem Blute, eingehüllt in ein schwarzes Wams mit silbernen Schnüren. Seine Hose und seine Stiefel waren mit Stickereien und Beschlägen verziert, und an seinen Hemdschnüren prangten Perlen. Jinesse löste sich vorsichtig von ihren Zwillingen, küßte sie beide und stellte sich ungefragt, doch bereitwillig, an der Reling auf.
»Wenn Ihr meine Gesellschaft noch wünscht, so komme ich gerne mit Euch«, sagte sie.
Diese Worte endlich rangen ihm ein rasches Lächeln ab. »Dakar leidet die Schläge der Nüchternheit. Falls er über Bord fällt, traut Ihr Euren Zwillingen dann zu, ihn aus dem Wasser zu fischen?«
Arithon wartete, bis ihre Nerven sich wieder beruhigt hatten, ehe er das weiche Gewebe verschnürte, das seine Lyranthe schützen sollte, leichte, graue Handschuhe über seine Finger zog und ihr half, in das Boot hinabzusteigen. Dann kletterte auch er hinein und begann wortlos und konzentriert zu rudern.
Aus der Nähe betrachtet, wirkten die Kais in ihrem Glanz wie eine geschmacklose, übertrieben gekleidete Dame der Gesellschaft, die üble Zeiten um ihren Reichtum gebracht hatten. Wie in allen anderen Häfen des Kontinents waren auch hier die Anlagen von grünenden Wildkräutern überwuchert. Der Geruch von Fett, verdorbenem Fisch und Blutwurst lag in der Luft, und die hübschen, pastellfarbenen Tore, die sich über die Menschenmassen wölbten, trugen graue Schimmelflecken wie Pocken auf menschlicher Haut. Den Huren wurde per Stadtverordnung abverlangt, Glöckchen bei sich zu tragen. Melodisch klang ihr Klingeln inmitten der Verwünschungen der Hafenarbeiter, die sich unter schweren Ladungen aus Kisten und Ballen krümmten. Abwasserpfützen bildeten sich über verstopften Rinnen, die das Schmutzwasser der Händler befördern sollten, welche damit beschäftigt waren, Hasen auszunehmen, die sie sodann über wenig vertrauenerweckenden, transportablen Kohlepfannen brieten.
»Das tut mir leid«, sagte Arithon, als Jinesse vor dem Gestank zurückschrak und schälte einen der Handschuhe von seinen Fingern. »Hier, bedeckt damit Eure Nase. Jenseits des Hafens werden die Straßen nicht mehr so schmutzig sein.« Er überließ sein Boot der bezahlten Fürsorge eines Straßenkindes, nahm Jinesse beim Arm und führte sie in einen Tumult hinein, der große Ähnlichkeit mit einem heftigen Karnevalstreiben aufwies.
Hin und her gestoßen, bedrängt von allerlei Händlern, die versuchten, ihr Nadeln, Borten und Scheiben frischen Sesambrotes anzudrehen versuchten, sehnte sich Jinesse nach dem verschlafenen Merior mit seinen palmbeschatteten Buchten und den bettelnden Möwen, die die Frauen umschwärmten, welche damit beschäftigt waren, den Fisch einzusalzen, auf daß er in Fässern gelagert werden konnte.
Als sie den Markt an den Docks überquert hatten und die steile Straße emporkletterten, welche hinauf in die wohlhabende Oberstadt führte, schien Jinesse vollends die Fassung verloren zu haben. Arithon setzte sie an den Rand eines öffentlichen Brunnens in den Schatten einer Damaszenerpflaume. Ein Mädchen mit einer Rute und drei lauthals schreienden Gänsen lieh ihr einen Becher, damit sie etwas Wasser trinken konnte. Hinter dem vergitterten Fenster eines Herrenhauses trällerte ein Käfigvogel. Ein fetter Gänserich tauchte schnatternd seinen Schnabel in das Wasser, das eisenhaltig genug war, um metallisch zu schmecken und aus dem Schnabel eines stilisierten Greifs herausfloß.
»Das Haus ist nicht mehr weit«, sagte Arithon gerade. Während sie ihr Schwindelgefühl gepflegt hatte, mußte er nach dem Weg gefragt haben.
Jinesse gab ihm seinen Handschuh zurück und sah ihn an, als er ihr beim Aufstehen behilflich war. Sein Gesicht war so verschlossen wie Quarzgestein. »Ihr fürchtet Euch.«
Sein gemächlicher Schritt auf der Pflasterstraße geriet nicht für einen Augenblick aus dem Tritt. Blauer Himmel spiegelte sich dann und wann in den polierten Beschlägen, wenn das laubgefilterte Licht sie erreichte. »Nein«, sagte er schließlich. »Aber ich fühle mich unzulänglich, der Bürde, die mir mein Meister auferlegt hat, nicht gewachsen.« Unbewußt spannte er seine Hand, die die Lyranthe umfaßte, und Jinesse erkannte, daß sie ihr Ziel erreicht hatten.
Einst war das kleine, feine Stadthaus ein Hort gesellschaftlichen Lebens
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