Der Fluch des Nebelgeistes 06 - Das Schiff der Hoffnung
Kettenhemd glitten. Durch Staub und Blut fing er den martialischen Geruch von Schweiß und Öl auf, woraufhin er schließlich schloß, daß sein Retter der Feldwebel sein mußte, der mit ihm den Erdrutsch nahe dem Gipfel lebend überstanden hatte.
»Ath sei gedankt, du bist zurückgekehrt«, keuchte Diegan. »Um meiner Seele und meines Prinzen Leben willen, sag den Männern, sie sollen sich zurückziehen.«
»Schweig still«, antwortete der andere, dessen Aussprache noch immer sonderbar hart klang. »Du hast schon zu viel Blut verloren.«
Diegan ergab sich vertrauensvoll. Die barbarische Sprache mußte einem grausamen, deliriösen Traum entspringen. Er hustete, und etwas Warmes floß aus seinem Mundwinkel. »Es hat eine Warnung gegeben«, brachte er mühsam hervor, verzweifelt darum bemüht, sich Gehör zu verschaffen. Wieder und wieder legte sich tiefe Schwärze über seine Augen, und die Schmerzen ließen ihn kaum mehr einen Gedanken fassen. »Fünfundzwanzig Männer haben mir Kunde vom Herrn der Schatten gebracht. Ich habe angeordnet, sie zu töten, ehe sie es jemandem erzählen konnten. Aber mein Prinz … er muß erfahren … die Gefahr ist zu groß. Sag ihm das. Das Lichtsignal … Rückzug … bevor es zu spät ist.«
»O Ath!« rief der Mann, der ihn stützte, gequält. »Dann geht diese verfluchte Missetat auf dein Konto! Hätten diese fünfundzwanzig Überlebenden Lysaer erreicht, so wäre, wie es mein Gebieter vorausgesehen und Dakar prophezeit haben, nicht ein einziger Mann im Dier Kenton-Tal zu Tode gekommen.«
Diegan ächzte. So sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, die Schleier vor seinen Augen zu vertreiben, um das Gesicht über dem seinen zu betrachten. »Wer bist du?«
»Der letzte Mann in Athera, dem dein Prinz lebend eine Audienz gewähren würde.« Gleich einem bösen Omen lachte der Mann erbittert. »Ich bin der Kriegerhauptmann deines Todfeindes, seiner Hoheit, Prinz Arithon von Rathain.«
Als die letzte Silbe gesprochen war und sein Entsetzen sich in schrecklichen Krämpfen niederschlug, schloß Diegan seine Augen und starb.
»Daelion sei mir gnädig«, waren seine letzten Worte, während unter den Tränen der Reue, würde seine Botschaft Lysaer s’Ilessid doch nun nicht mehr erreichen, der Atem für immer seinen Lungen entwich. Seine ergebene Liebe und Treue, all der Schmerz, vor dem er seinen Herrscher und seine Freunde hatte schützen wollen, nun war es alles vergebens gewesen.
»Der Herr des Schicksals ist mein Zeuge, das war kein kluger Zug«, murmelte Caolle. Er hob den von einer Haube bedeckten Kopf des Lordkommandanten von Avenor von seinem Knie und bettete ihn auf der aufgewühlten Erde zur Ruhe. Gewohnheitsmäßig wischte er sich die blutverschmierten Finger an seiner Lederkleidung ab. Der Kriegerhauptmann, der schon viele hatte sterben sehen, beobachtete resigniert die Fliege, die sich auf das scharlachrote Rinnsal niederließ, welches zwischen Lippen, die noch immer in verzweifeltem Todeskampf zuckten, herausquoll.
Der Schatten über seiner Schulter bewegte sich, als sein Verursacher, der junge Kundschafter, zur Seite trat und in den Staub spuckte. »Wie hätte ich denn wissen sollen, daß dieser mordlustige Stutzer seine Männer zurückrufen wollte?«
Caolle wandte sich von Diegans Leichnam ab. Sein harter Blick bohrte sich in ein Gesicht, zu jung, zu verbittert und zu sehr von einem lange zurückliegenden Blutbad gezeichnet, das Konzept des Erbarmens zu erfassen. »Du konntest es nicht wissen, Junge. Nun ist es zu spät.« Schweißgebadet und von dem hastigen Lauf den Hang hinunter überall zerkratzt, verschaffte sich Caolle, einem Reflex gehorchend, einen Überblick über die Anzahl der Getöteten, niedergeschossen während ihres verzweifelten Marschs über unsicheres Terrain auf der Suche nach festem Boden. Am Kinn eines der Gefallenen, eines jungen Burschen in einer Knappentunika, zeigte sich gerade der erste spärliche Bartflaum. Caolle seufzte. Ath wußte, daß er schon Schlimmeres gesehen hatte.
Doch jener tödliche Pfeil, der einen Mann niedergestreckt hatte, welcher auf Feindesseite den ihm ebenbürtigen Rang bekleidet hatte, erfüllte ihn mit Verbitterung. Mit tiefem Bedauern richtete Caolle sich auf, den Ort zu verlassen.
»Ich kann nur beten, daß du eines Tages lernst, Erbarmen zu zeigen«, sagte er zu Jierets jungem Krieger. »Das mag dich vielleicht davor schützen, daß dein Leben wie das meine zu einer nutzlosen Verfolgung alten Hasses
Weitere Kostenlose Bücher