Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
nicht?«, wollte Conrad wissen.
Tica zuckte mit den Schultern.
»Eine zeremonielle Stiege in den See ist kein Beweis dafür, dass es sich um den richtigen Ort handelt.«
»Die Spanier haben versucht, den falschen See trockenzulegen?«
Tica ergriff nun ihr Ruder und tauchte es ins Wasser.
»Vielleicht«, sagte sie und drehte sich demonstrativ weg.
Conrad und Assante nahmen ebenfalls ihre Ruder.
»Was habt Ihr nun vor?«, wollte Tica wissen.
»Zuallererst muss ich nach Jana suchen«, sagte Conrad und wich Ticas eigentlicher Frage aus. Wortlos setzte sich das Holzboot in Bewegung und glitt durch Blattlinsen und Gras. Nach der nächsten Baumgruppe wandte der Flusslauf sich Richtung Westen, genau wie Tica es vorhergesagt hatte.
Barinas,
März 1619
Am nächsten Morgen schlich Jana schon in aller Früh aus dem Kloster. Als sie durch die kleine Pforte huschte, hatte sie das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Jana drehte sich um und blickte zurück. Saß hinter einem der Fenster der alte Edmundo, oder bildete sie es sich nur ein? Jana blinzelte, rieb sich die Augen und hielt die Hand an die Stirn, damit die noch tief stehende Sonne sie nicht blendete. Aber sie konnte nichts mehr sehen. Das Fenster war leer.
Rasch verließ sie den Garten und machte sich auf den Weg zu dem Haus des Kaufmanns. Auf den Straßen der Stadt erwachte langsam das Leben. Bauern aus den umliegenden Ortschaften zogen ihre Handkarren und brachten ihre Ware in die Stadt, frisches Obst und Gemüse, Mais und Amaranth. Einen der Karren, der von einem Esel gezogen wurde, bemerkte sie so spät, dass sie erst im letzten Moment zur Seite sprang. Sie lief einen kleinen Flusslauf entlang und erreichte das prächtige Haus, in dem der Händler Pacorro wohnte. Der Mann segelte regelmäßig ins Orinoco Delta, um Waren aus den Bergen wie Erze und Felle gegen Früchte und Fische aus dem Osten zu tauschen. Der Handel schien lukrativ zu sein, denn das große Haus war frisch gestrichen, das Dach neu gedeckt, und im Garten blühten üppige Büsche neben sorgfältig gepflegten Obst- und Gemüsebeeten. Vor dem Gebäude spielten vier Kinder mit bunten Stöcken und Steinen. Jana hörte ihr Lachen und beobachtete sie, ohne zu begreifen, worum es in dem Spiel ging.
Eine fast schlaflose Nacht hatte Spuren hinterlassen. Jana fühlte sich erschöpft und müde. Eines der Kinder, ein dünnes Mädchen mit einem kurzen Kleid, das ihm nur knapp über die Knie reichte, erblickte sie, unterbrach das Spiel und lief neugierig zu ihr. Die Kleine sprach Jana auf Spanisch an und fragte, was sie hier wolle.
»Ich suche nach dem Händler Don Manuel Pacorro«, erklärte Jana in gebrochenem Spanisch.
»Das ist mein Vater. Ihr habt Glück, er muss heute erst später aus dem Haus und sitzt noch bei meiner Mutter in der Küche. Kommt!«
Das Mädchen winkte Jana zu und bedeutete ihr zu folgen. Ihre nackten Füße steckten in groben Holzpantoffeln, die ihr viel zu groß waren. Mit lautem Klappern schlurfte sie über den sandigen Weg, der zum Haus führte. Noch bevor sie das Haus betreten konnte, öffnete sich die rot gestrichene Eingangstür und eine südländisch aussehende Frau mit tiefschwarzem Haar stand fragend da. Sie musterte Jana von Kopf bis Fuß, schließlich blieb ihr Blick an Janas kurzen Haaren hängen.
»Buenas Dias«, sagte die Frau in einwandfreiem Spanisch. »Wollt Ihr zu meinem Mann?«
Jana nickte. Sie senkte ihre Stimme in der Hoffnung, auf diese Weise männlicher zu wirken. Ihre Verkleidung erschien ihr von Tag zu Tag unsinniger. Sobald sie Gelegenheit dazu haben würde, wollte sie sich wieder davon trennen.
Die junge Frau führte Jana ins Haus, wo es angenehm kühl war und nach frischem süßem Getreidebrei roch. Don Manuel Pacorro saß im Licht der Morgensonne beim Fenster und aß sein Frühstück. Es war Jana unangenehm, den Mann bei seiner ersten Mahlzeit am Tag zu stören. Pacorro blickte von seinem Brei auf, im Gegensatz zu seiner Frau war sein Gesicht hässlich. Pockennarben überzogen seine Haut, seine Nase war platt und breit, und die Lippen waren wulstig. Aber seine dunkelbraunen Augen musterten den Fremden freundlich. Gut gelaunt forderte er Jana auf, Platz zu nehmen, und fragte höflich, was er für sie tun könne.
»Verzeiht meinen unangekündigten Besuch«, sagte Jana. Sie räusperte sich: »Ich habe gehört, dass Ihr mit Eurem Schiff regelmäßig bis ins Orinoco Delta segelt.«
Pacorro nickte und schob seine leere Holzschüssel in die Mitte
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