Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
Dorfälteste sie vor den Piranhas gewarnt. Kleine Fische, die mit ihren scharfen Zähnen ganze Wasserschweine auffraßen. In der Regenzeit, wenn die Flussarme überflutet waren und die Tiere genug Nahrung finden konnten, waren sie relativ harmlos. Jetzt in der Trockenzeit galten sie als besonders gefährlich. Ein Schwarm von ihnen konnte einen erwachsenen Mann innerhalb kürzester Zeit auffressen, so dass nur noch das nackte Skelett übrigblieb. Conrad starrte immer wieder ins trübe, von unzähligen Blättern und hellgrünen Linsen überzogene Wasser und suchte die Oberfläche nach den auffallenden orangefarbenen Tieren ab.
»Auch wenn du ununterbrochen ins Wasser starrst, wirst du die Viecher nicht vertreiben«, sagte Assante, der bemüht war, Conrads Bewegungen auszugleichen, damit sie nicht kenterten.
»Ich will wissen, wann wir auf keinen Fall ins Wasser fallen dürfen.«
»Wenn Ihr Euch weiterhin so weit übers Wasser beugt, fallen wir jedenfalls gewiss bald hinein«, sagte Tica, woraufhin Conrad beleidigt schwieg und demonstrativ in den Himmel schaute, oder besser in die kleinen blauen Flecken, die er zwischen dem dichten Blätterdach erblicken konnte.
Solange das Tageslicht es erlaubte, ruderten sie den Fluss entlang in Richtung Nordwesten. Nachts schliefen sie in Hängematten, die ihnen die Waraos mitgegeben hatten. Mit einem Feuer versuchten sie sich gegen Moskitos und andere gefährliche Tiere zu schützen. Ihre Nahrung war etwas eintönig und bestand zum Großteil aus Kochbananen, Süßkartoffeln und Maniok. Weder Conrad noch Assante hatten diese Pflanze gekannt. Tica grub die mannshohe Staude samt Wurzelstock mit Hilfe eines Steins aus, befreite die Knollen von der Erde und erklärte ihnen, dass diese Knolle nicht nur schmackhaft, sondern auch besonders nahrhaft sei. Blätter und Stängel waren mit klebriger, milchiger Flüssigkeit gefüllt, gegessen werden konnten nur die in etwa zeigefingerlangen Wurzeln, die von einer korkähnlichen, rotbraunen Schicht umhüllt waren. Das Innere der Wurzel war weiß oder gelblich. Tica zerkleinerte die Wurzel, vermengte sie mit Wasser und verrührte die Masse zu einem Brei. Sie meinte, dass die Waraos die Wurzeln auch trockneten und zu Mehl verarbeiteten, aber dazu hätten sie nun keine Zeit. Manioks schmeckten süßlich und bildeten eine willkommene Abwechslung auf dem pflanzlichen Speiseplan. Conrad weigerte sich nach wie vor, Maden und Käfer zu essen, außerdem hielt er Assante aus Angst vor den aggressiven Piranhas vom Fischen ab. Da weder Conrad noch Assante im Umgang mit Pfeil und Bogen oder Blasrohr geübt waren, mussten sie auf Fleisch verzichten.
Tica kannte sich nicht nur mit den essbaren Früchten und Wurzeln aus, sondern hatte auch ein außerordentliches Gespür für Gefahren aller Art. Sie sah Krokodile, Wasserschlangen und handflächengroße Spinnen, lange bevor Conrad oder Assante sie bemerkten, und wusste schon, bevor sie in einen Flussarm abzweigten, ob dieser ausgetrocknet war oder nicht. Tica ruderte mit so viel Geschick, dass sie nun deutlich schneller unterwegs waren als zuvor. Die junge Frau saß in der Mitte des kleinen Ruderbootes, das nun noch tiefer im Wasser lag. Assante übernahm den vorderen Platz, und Conrad hockte hinten. Doch schon bald zog Assante Conrad in einem unbeobachteten Moment zur Seite und bat den Freund darum, mit ihm den Platz zu tauschen.
»Aber warum denn?«, fragte Conrad.
Verlegen knetete Assante seine Hände.
»Der Gedanke, dass Tica die ganze Zeit hinter mir sitzt, macht mich nervös«, gestand er verlegen.
»Deshalb willst du, dass du hinter ihr sitzt und sie nervös machen kannst?«
»Wie kommst du darauf, dass ich sie nervös machen könnte?«
Conrads Grinsen reichte von einem Ohr zum anderen: »Sie wirft dir ebenso sehnsuchtsvolle Blicke zu wie du ihr.«
Conrad war sicher, dass Assante das Blut in die Wangen schoss. Auch wenn seine Hautfarbe ihn nicht verriet.
»Du irrst dich«, sagte er kopfschüttelnd.
»Amantes amentes! Liebende sind Verrückte. Ich versichere dir, dass Ticas Augen an dir hängen, als wärst du der nördlichste Punkt einer Landkarte und sie eine Magnetnadel.«
Empört schüttelte Assante den Kopf: »Deine Vergleiche sind merkwürdig. Tica ist doch keine kalte, leblose Magnetnadel.«
»Ich bin Wissenschaftler, kein Dichter«, sagte Conrad gekränkt. Ihm erschien das Bild sehr passend.
»Auch wenn sie jetzt etwas für mich empfindet, sie wird mich hassen, sobald sie erfährt,
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