Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
kurzen, abgehackten Stößen. Dabei hob und senkte sich seine breite Brust in rasantem Tempo.
Mit beiden Händen fuhr sich Conrad übers Gesicht. Er starrte zurück zur Santa Lucia. Das Schiff stand in Flammen. Dicke, schwarze Rauchschwaden stiegen anklagend in den Himmel. Eines der drei Piratenschiffe lag immer noch am Heck der Nao. Das andere segelte bereits Richtung Festland. Auch das dritte schien sich jetzt in Fahrt zu setzen. Langsam entfernte es sich vom brennenden Wrack. Für einen Moment fürchtete Conrad, die Piraten könnten bei ihnen Halt und kurzen Prozess machen. Aber das elegante, schmale Schiff segelte an ihnen vorbei, als wären sie gar nicht vorhanden. Das winzige Ruderboot schwankte bedrohlich und drohte zu kippen. Conrad und Assante hielten sich mit beiden Händen fest, aber kaum war das Segelschiff weg, beruhigten sich die Wellen wieder, und das kleine Rettungsboot trieb unbeschadet im Meer.
Langsam begann Conrad zu begreifen, was eben passiert war. Er beobachtete seinen Lebensretter, der bereits damit beschäftigt war, die Ruder aus den Metallhalterungen zu befreien.
»Danke«, sagte Conrad.
Der Mann arbeitete weiter an den Rudern. Ohne den Kopf zu heben, erwiderte er: »Gern geschehen!«
Der Mann sprach Latein. Wo hatte er die Sprache der Kirche und der Wissenschaft erlernt? Im Moment war Conrad zu müde und erschöpft, um sich darüber Gedanken zu machen. Das winzige Ruderboot war weit vom Festland entfernt. Vielleicht zu weit. Es war durchaus möglich, dass die Piraten sie nicht angegriffen hatten, weil sie wussten, dass die beiden niemals so weit rudern konnten. Aber sie würden es versuchen. Denn eines hatte Conrad über Assante bereits gelernt: Der Mann war zäh und wollte überleben.
Tobago,
November 1618
Seit drei Tagen saßen Richard und Tom auf Tobago fest, auf der Insel, die Christoph Columbus »Bella Forma«, schöne Form, genannt hatte. Was vielleicht an den flachen, sandigen Sandstränden im Südwesten der Insel lag. Im Norden bedeckte eine bewaldete Gebirgskette die Insel. Die Küste war hier stark zerklüftet, was der Schönheit der Landschaft aber keinen Abbruch tat.
Kräftige Südwestwinde hatten die Anne Rose schneller als geplant an einem der weißen Sandstrände landen lassen. Hohe Palmen, ein farbenprächtiges Blütenmeer und Früchte, so süß, dass kein englischer Kuchen damit konkurrieren konnte, ließen erahnen, wie es im Paradies wohl aussehen könnte.
Es dauerte einen halben Tag, bis Richard wieder aufrecht gehen konnte, ohne dabei zu wanken. Einen weiteren halben Tag brauchte er, um eine Taverne in der kleinen Hafenstadt, der die Holländer den Namen Nieuw-Vlissingen gegeben hatten, zu finden und dort so viel Branntwein zu trinken, dass er hinterher wieder knieweich torkelte. Toms vorwurfsvolle Blicke hatten daran nichts ändern können.
Im Moment war Tobago unter englischer Herrschaft, aber das konnte sich rasch wieder ändern, denn seit Christoph Columbus sie vor hundertfünfzehn Jahren entdeckt hatte, war die Insel in spanischen, holländischen und französischen Händen gewesen. Die indianische Bevölkerung war in den letzten hundert Jahren auf eine Zahl geschrumpft, die man an den Fingern zweier Hände abzählen konnte.
Einer der Überlebenden, ein kleiner Mann mit rundem Gesicht und schrägstehenden Augen, putzte die Tische in der Taverne und wischte mit einem nicht mehr ganz sauberen Tuch lustlos über die grobe Tischplatte. Es war mit Abstand die schäbigste Gaststätte auf der Insel, dafür aber die billigste.
»Das Zeug ist gut«, sagte Richard. Seine Augen waren bereits rot unterlaufen und glasig, seine Aussprache war verwaschen. Er hielt sein halbvolles Glas hoch und prostete Tom zu.
»Was Ihr ›Zeug‹ nennt, ist starker Alkohol, der aus Zuckerrohr gebrannt wird. Ihr solltet nicht zu viel davon trinken, denkt daran, wie es Euch gestern ergangen ist.«
Richard kicherte wie ein kleines Mädchen und kippte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter.
»Wozu soll ich mich daran erinnern? Ich hab doch dich dabei, meine Anstandsdame, die auf mich aufpasst. Prost!«
Er schenkte das Glas aus der Flasche vor ihm noch einmal voll und trank. Dann knallte er das Glas lautstark auf den Tisch und sah sich um. Mit der richtigen Portion Zuckerrohrbrand sah die windschiefe Hütte, die aus den Resten gestrandeter Schiffe zusammengenagelt worden war, gar nicht mehr so schlimm aus. Auch das Dach aus getrockneten Palmenblättern wirkte heimelig, ebenso wie
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