Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
Canaria landet?«
Assante zuckte mit den Schultern: »Lange Geschichte.«
»Wir haben viel Zeit, und du kennst meine Geschichte bereits.« Verschämt erinnerte sich Conrad daran, wie er im Lagerraum der Nao über jede Einzelheit seines Lebens erzählt hatte, im Glauben, dass Assante ihn nicht verstehen konnte. Und als er damit fertig gewesen war, hatte er Teile davon auf Latein wiederholt, um sich die Zeit zu vertreiben und das Denken nicht zu verlernen.
Wieder schwieg der Schwarze, und eine schier endlose Pause entstand, in der Conrads Ruderschläge schwächer wurden.
»Du bist ein neugieriger Mensch. Ich erzähle dir meine Geschichte nur, damit du weiterruderst«, willigte Assante ein.
Conrad war es gleich, warum der Mann neben ihm redete. Wichtig war, dass er redete und ihn selbst von seinem Elend ablenkte.
»Ich stamme aus einem kleinen Dorf. Ich kann nicht sagen, wo genau es lag. Es ist zu lange her, dass man mich von dort verschleppte. Ich war noch ein Kind. Aber ich kann mich an Hütten aus Lehm erinnern. An saftige Felder, eine Ziegenherde und an eine Mutter in weichen, bunten Gewändern, sie hatte das großzügigste, liebevollste Lächeln der Welt.«
Assante räusperte sich, bevor er weitersprach.
»Eines Tages tauchten Sklavenhändler auf. Weiße Männer mit Gewehren und Schwertern, aber es waren auch zwei Schwarze dabei.« Assantes Gesicht verfinsterte sich. »Die Männer stammten aus dem Nachbardorf. Ich habe nie begriffen, warum sie dabei waren. Die Männer schlugen alles klein, zerstörten die Häuser, töteten das Vieh und brannten die Felder nieder. Sie erstachen die Kleinkinder, vergewaltigten die Frauen und nahmen die Männer mit. Ich war damals zehn. Aber für mein Alter ungewöhnlich groß, deshalb legten sie mir Ketten an und führten mich ebenfalls ab. Ich landete auf einem Sklavenmarkt, wo Don Hernando Villaverde mich kaufte. Ich arbeitete auf einer seiner großen Feigenplantagen. Aber als Villaverde bemerkte, wie jung ich war, holte er mich in sein Haus, wo ich in der Küche mithalf. Villaverde hatte einen Sohn in meinem Alter. Orlando hatte keine Geschwister. Auch sonst gab es keine Kinder im Haus, und so freundete sich Orlando mit mir an. Zuerst bloß heimlich, aber nach und nach spielten wir auch vor den Augen der anderen miteinander, und die Freundschaft wurde enger. Orlando war der größte Schatz seines Vaters. Villaverde verwehrte ihm niemals einen Wunsch, und so setzte Orlando durch, dass ich dabei sein durfte, wenn er unterrichtet wurde. So kam es, dass ich lesen, schreiben und rechnen lernte. Das steigerte meinen Wert als Sklave. Als Orlando erwachsen wurde, schickte ihn sein Vater nach Cádiz, und ich sollte ihn begleiten. Ich wünschte, wir wären nie aufgebrochen.«
Assante machte eine Pause und zögerte, bevor er weitersprach. Er schluckte hart und fuhr dann deutlich leiser fort: »Auf dem Weg zum Hafen wurden wir überfallen. Orlando wurde von einer Kugel getroffen und starb in meinen Armen. Hinterher gab Villaverde mir die Schuld am Tod seines Sohnes. Ich hätte ihn beschützen müssen, stattdessen hätte ich versagt.«
»Was geschah dann?«
»Villaverde verkaufte mich an einen Sklavenhändler. Danach begann eine Odyssee. Fünf verschiedene Besitzer. Man schlug mich, bis ich Angst hatte, den Verstand zu verlieren. Zuerst wünschte ich, sie würden mich umbringen, aber bald wurde mir klar, dass sie das nie tun würden.«
Conrad war wieder hellwach.
»Du warst zu wertvoll«, sagte er langsam.
Assante nickte. »Niemand bringt eine gute Milchkuh um, und niemand tötet einen kräftigen Stier zum Pflügen. Ich war ein starker, zäher Sklave, der noch dazu fließend Spanisch und Latein sprach. Niemand wollte diesen Besitz wegwerfen. Aber es gab auch niemanden, der mich behalten wollte, denn ich war starrköpfig und aufsässig. Eigenschaften, die man an einem Sklaven nicht schätzte.«
Erneut entstand eine Pause, in der nur das Klatschen der Ruder und der Wellenschlag des Wassers zu hören waren.
»Nun bist du frei«, sagte Conrad. »Falls wir jemals am Strand landen werden, entfernen wir die Ringe von deinen Arm- und Fußgelenken und natürlich den hässlichen Reifen von deinem Hals. Wir besorgen dir ordentliche Kleidung, und du kannst tun und lassen, was dir gefällt.«
Assante drehte sich zu Conrad und hörte mit dem Rudern auf.
»Schau mich an«, befahl er. »Was siehst du?«
Erstaunt hielt auch Conrad in seinen gleichmäßigen, wenn auch trägen Bewegungen inne
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