Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
diesem winzigen Dorf gibt es auf der Insel keinen Ort, wo man vernünftig trinken kann.«
»Ja, da habt Ihr recht. Mein Vater hat zwar nicht die schönste Taverne auf der Insel, dafür aber den besten Zuckerrohrbrand. Leider wird Morgan trotzdem nicht zu uns kommen, schließlich hat er seine eigene Taverne.«
Der Junge zögerte noch einen Moment, dann lief er wieder hinaus. Er wollte da sein, wenn der Piratenkapitän mit den Gefangenen landete.
Als sie wieder allein in der Hütte waren, sagte Richard: »Ich frage mich, wann unser Schiff endlich weitersegeln wird. Je mehr ich von den Piraten erfahre, umso unwohler fühle ich mich hier. Schadenszahlungen für verlorene Körperteile hin oder her.«
»Im Moment genießt die Mannschaft ein paar Tage auf festem Boden. Es müssen Wasser und Proviant aufgefüllt werden. Aber spätestens in zwei Tagen soll die Anne Rose wieder in See stechen«, sagte Tom und fügte so leise hinzu, dass Richard es kaum verstehen konnte: »Ich hoffe inständig, dass es nicht länger dauert, sonst sauft Ihr den letzten Rest Verstand aus Eurem Kopf.«
Aber Richard hörte ganz genau, und statt das Glas zur Seite zu schieben, rief er dem Mann am Tresen zu, er solle ihm eine weitere Flasche bringen. Was er ganz sicher nicht brauchte, war ein Diener, der ihn maßregelte. Dass er zu viel trank, das wusste er auch ohne Toms Ermahnungen.
Vor Trinidad,
November 1618
Gnadenlos brannte die Sonne auf das kleine Ruderboot. Seit Stunden hatte Conrad den Eindruck, dass sie sich dem Festland nicht näherten, im Gegenteil. Die drei Piratenschiffe waren längst aus ihrem Blickfeld verschwunden. Sie waren nicht am einladend wirkenden Sandstrand gelandet, sondern hatten sich von der Küste entfernt und waren Richtung Nordosten weitergesegelt. Auf einem der Schiffe saß Jana. Sie war eine Gefangene in den Händen brutaler Piraten. Vielleicht hatte man sie gefesselt, vielleicht geschlagen. Conrad versuchte die Bilder aus seinem Kopf zu verdrängen, aber es gelang ihm nicht. Immer wieder tauchte ihr Gesicht vor ihm auf, wie sie verzweifelt weinte und um Hilfe rief. Doch sofort korrigierte er selbst seine Fantasien. Jana war keine Frau, die hysterisch schrie. Dennoch war die Vorstellung davon, was eine Horde gesetzloser Männer mit einer hübschen, jungen Frau anstellen konnte, furchteinflößend.
Conrads Blick glitt seitlich ins Meer, um die Sorgen um Jana für einen Moment zu vergessen. Was er sah, verlagerte seine Angst bloß in eine andere Richtung. Das Wasser war so dunkel, dass es beinahe schwarz aussah. Es wirkte bedrohlich. Niemand wusste, wie groß die Fische und andere Meerestiere waren, die in den Tiefen wohnten und nur darauf warteten, dass das kleine Boot kenterte und die beiden Männer hilflos ertranken. In der Ferne, dort, wo der weiße Sandstrand sanft ins Meer verlief, war das Wasser topazfarben. Der Sand funkelte weiß im Sonnenlicht, und dahinter breiteten sich üppige Wälder voller Palmen und Farne aus. Wo grüne Pflanzen wuchsen, musste es auch Wasser geben. Conrads Zunge klebte ausgetrocknet und breit an seinem Gaumen. Seine Haut spannte, und seine Lippen waren aufgesprungen und blutig. Nach all den Wochen auf hoher See sah er endlich wieder festes Land, und nun ging ihm so knapp vor dem Ziel die Kraft aus. Am liebsten hätte er sich auf den Boden des kleinen Schiffs gelegt und wäre eingeschlafen. Seine Augen fielen ihm zu. Da landete eine Hand voll salzigem Meerwasser in seinem Gesicht.
»Rudern!«, befahl der Schwarze neben ihm. Der Mann schien übermenschliche Kräfte zu besitzen. Seine muskelbepackten Arme zogen ohne Unterbrechung das Ruder durchs Wasser.
Conrad rappelte sich auf und bemühte sich, aber er fühlte sich einfach zu schwach. Jede einzelne Faser seines Körpers schmerzte. Vielleicht hatte er Fieber. Er musste sich ablenken.
»Warum sprichst du Latein?«, fragte er und bemühte sich, seiner Stimme etwas Stärke zu verleihen.
Einen Augenblick zögerte der Schwarze, und Conrad glaubte schon, er würde weiterhin schweigen, doch dann drehte er sich zu ihm und antwortete, ohne dabei mit dem Rudern aufzuhören.
»Ich war zehn Jahre lang der Sklave eines Plantagenbesitzers aus Cádiz. Der Mann lehrte mich seine eigene Sprache und Latein.«
Conrads Neugier war geweckt, und seine Lebensgeister kehrten langsam zurück. Sobald es etwas gab, das ihn faszinierte, konnte er seine Müdigkeit vergessen.
»Wie kommt es, dass ein gelehrter Sklave auf einem Sklavenmarkt auf Gran
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