Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
sie Lösegeld fordern.«
»Meinem Onkel?«, fragte Conrad überrascht.
»Die Frau hat behauptet, dass Ihr Onkel irgendwo in den Bergen bei Tunja eine Silbermine besitzt und für sie bezahlen wird.«
Grinsend schüttelte Conrad den Kopf. Nur zu gut konnte er sich vorstellen, wie Jana den Piratenkapitän angelogen hatte.
»Das heißt, sie ist immer noch bei Morgan, und der wartet auf das Lösegeld«, sagte er und spürte eine riesige Erleichterung.
Aber der Spanier schüttelte den Kopf, und Conrads Hoffnung verpuffte wieder.
»Sie konnte flüchten. Niemand weiß, wie und wohin. Ein englisches Schiff segelte vor ein paar Tagen ab, und seither ist sie verschwunden. Angeblich hat sie sich kurz davor mit zwei englischen Passagieren unterhalten. Vielleicht haben die ihr bei der Flucht geholfen. Es muss alles heimlich passiert sein, denn der Kapitän des Schiffes ist ein Freund von Morgan, er hätte sie sonst zurückgebracht.«
»Ein englisches Schiff«, sagte Conrad fassungslos. Eben noch war sein Glück in greifbarer Nähe gewesen, schon war es wieder so fern, dass es unerreichbar erschien.
»Wohin ist das Schiff unterwegs?«, fragte Conrad.
»Nach La Guaira, das liegt im Norden.«
Conrad seufzte, das war genau die Richtung, in die Jana wollte. Sie war also immer noch davon besessen, diesen Schatz zu finden. Neben all der Sorge empfand Conrad auch Ärger. Diese verdammte Schatzkarte hatte ihnen bis jetzt bloß Ärger eingebracht. Es war, als läge ein Fluch darauf, dabei war er ganz sicher kein abergläubischer Mensch.
In dem Moment kam Pieter zurück und setzte sein Gespräch mit dem Iren fort. Aber Conrad hatte ohnehin schon alles erfahren, was er wissen wollte. Niedergeschlagen stand er auf und ging an den Strand.
Der Vollmond erhellte den wolkenlosen Nachthimmel, aber das Meer war dunkel, fast schwarz, selbst dort, wo der Mond sich darin spiegelte. Ein sanfter, warmer Wind blies Conrad das Haar aus der Stirn, er stand bis zu den Knöcheln im Wasser, das ihm nun kalt erschien. Wie viele Tagesreisen war er von zu Hause entfernt? Hatte er überhaupt ein Zuhause? Wien war es schon lange nicht mehr. Aber war es Prag? Bologna? Gran Canaria hätte es werden können. Conrad fühlte sich dort zu Hause, wo Jana war. Aber wo verdammt noch mal steckte sie? Wütend stampfte er auf, so dass das Wasser ihm bis zum Oberschenkel spritzte. Ihm war nach Schreien zumute, aber damit hätte er die Aufmerksamkeit der Bukanier geweckt, und mit denen wollte er bestimmt nicht über seinen Ärger reden.
In dem Moment trat Assante zu ihm.
»Der Ire hat dir nicht die Nachricht gebracht, die du gerne gehört hättest.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Jana hat sich auf die Suche nach dem Schatz gemacht«, sagte Conrad.
»Du wolltest, dass sie nach dir sucht?« Jetzt war es eine Frage.
»Ich wollte sie so schnell wie möglich finden«, seufzte Conrad und ließ Assantes Frage unbeantwortet.
»Nun, dann sollten wir uns auch auf die Suche nach diesem Schatz machen. Hast du die Karte im Kopf?«
»Jeden einzelnen Strich davon. Ich habe dieses Papier so eingehend studiert wie kein anderes je zuvor und es unzählige Male abgezeichnet.«
»Na dann. Worauf warten wir noch? Heute Nacht werden Pieter und seine Männer so betrunken sein, dass sie frühestens morgen Mittag unser Verschwinden bemerken. Da sind wir aber längst im Süden der Insel, und von dort können wir mit jedem Fischer, der uns mitnimmt, zum Orinoco Delta segeln.«
»Du hast dich bereits gut informiert«, sagte Conrad überrascht.
»Was hätte ich denn tun sollen? Irgendwann ist auch das Pflanzensammeln öde.«
Trotz seiner Enttäuschung grinste Conrad: »Ich muss bloß noch die Münzen, die ich hier verdient habe, und meine neuen Instrumente einpacken.«
»Alles längst geschehen. Außerdem habe ich uns Proviant gestohlen. Erstaunlich, wie schnell man unmoralisches Handeln erlernt.«
»Es ist in der Tat höchste Zeit, dass wir von hier verschwinden.«
Santiago de Léon
de Caracas,
Dezember 1618
Jana war im hintersten Eck eines Lagerraums der Anne Rose gereist. Für Tom Reasley, der sich in den langen Wochen der strapaziösen Überfahrt als hilfreiche, zusätzliche Arbeitskraft erwiesen hatte, war es ein Leichtes gewesen, den Steuermann davon zu überzeugen, eine blinde Passagierin bis nach La Guaira mitzunehmen. Jana hatte das Schiff vom Kapitän unbemerkt betreten und im Zielhafen ebenso unbemerkt wieder verlassen müssen. Während der Fahrt hatte sie
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