Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
sich still und unauffällig verhalten.
Wie bei ihrer ersten Schifffahrt mit Conrad war ihr unter Deck sofort übel geworden. Sie hatte versucht, an etwas Schönes zu denken, was in dem abgedunkelten, schaukelnden, engen Raum nicht einfach gewesen war. Immer wieder führten ihre Gedanken sie zurück zu Conrads Gefängnis auf der Santa Lucia und endeten mit dem Bild der brennenden Nao. Lieber versuchte sie sich vorzustellen, wie Conrad in eines der Rettungsboote flüchtete und an Land ruderte, doch sie wusste, wie unwahrscheinlich diese Variante war, dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf.
Bis Jana in La Guaira die dunkle Kammer endlich verlassen konnte, war es bereits stockfinster. Sie übernachtete mit den beiden Engländern in einem leerstehenden Schuppen, in dem alte Gerätschaften und Gerümpel lagen. Die bunte Hafenstadt bekam sie erst am nächsten Morgen zu sehen. Aber es blieb kaum Zeit, die riesigen Handelsschiffe und kleinen Fischerboote zu bewundern, weil Tom und Richard bereits zur Weiterreise drängten. Ein spanischer Kaufmann, der froh über Begleitung war, hatte sich dazu bereit erklärt, sie auf einem Wagen bis nach Caracas mitzunehmen. Dieses großzügige Angebot konnten sie nicht ablehnen.
Vier Tage später erreichten sie, staubig vom aufgewirbelten Sand der unbefestigten Straße, die Stadt, die schon von weitem zu hören und zu sehen gewesen war. Der Weg hatte immer steiler bergauf geführt, und der Kaufmann hatte sie kurz vor der Stadt absteigen lassen, so dass sie das letzte Stück zu Fuß zurücklegen mussten.
Die Luft war so feucht, dass Janas Kleid bereits nach wenigen Schritten an ihrem Körper klebte. Auch die beiden Männer schwitzten.
»Bin ich froh, dass wir endlich aus dem Wagen steigen können«, seufzte Jana, wischte sich das nasse Haar aus der Stirn und streckte sich.
Auch Richard und Tom kletterten mit steifen Gliedern heraus.
»Wenn uns noch einmal ein Kaufmann eine Mitfahrgelegenheit anbietet, werden wir zuerst nachsehen, ob sein Wagen ausgepolstert ist.«
Jana warf dem Engländer einen verständnislosen Blick von der Seite zu. Wie so oft in den letzten Tagen war sie nicht sicher, ob er sich mit seinen Bemerkungen über sie lustig machte oder tatsächlich meinte, was er sagte. Weder seine Miene noch seine Stimmlage verrieten, was hinter seiner Stirn vor sich ging.
Tom hingegen schenkte Richards Bemerkungen keinerlei Beachtung. Er stand neben ihnen, blickte sich suchend um und meinte: »Ich glaube, wir sollten diesen Weg nehmen. Er scheint in die Stadtmitte zu führen.«
Zielstrebig marschierte er los, und Jana und Richard folgten ihm kommentarlos. Schon bald erreichten sie die ersten Häuser. Wie in allen Städten, die Jana bis jetzt gesehen hatte, standen auch am Stadtrand von Caracas kleine armselige Barracken, in denen die Armen und Kranken der Gesellschaft wohnten. Die Hütten waren aus dünnen Brettern genagelt, Bauschutt der großen Gebäude, die in der Stadtmitte entstanden. Lautes Hämmern und Klopfen drang von dort aus zu ihnen. Typischer Baulärm. Viele der Hütten am Stadtrand standen auf Pfählen wie die Hütten in La Guaira und entlang der gesamten Küste. Der spanische Kaufmann hatte ihnen während der Fahrt erklärt, dass der Name des Landes angeblich auf die Pfahlbauten zurückging. Es hieß, dass der Italiener Amerigo Vespucci, der 1499 mit Alonso Ojeda das Land erreichte, sich beim Anblick der Pfahlbauten an seine Heimat Venedig erinnert fühlte. Er gab dem Land den Namen »Kleinvenedig«, Venezuela. Jana mochte die Geschichte, auch wenn ihr die ärmlichen Hütten nicht gefielen. Sie sahen aus, als würden sie weder gegen starken Wind noch gegen Regen ausreichend Schutz bieten. Während Jana darüber nachdachte, ob die Winter hier so kalt würden, dass die Bewohner auch gegen Eis und Schnee ankämpfen mussten, holte Tom sie aus ihren Überlegungen.
»Ich hoffe, wir finden eine passende Unterkunft.«
»Gegen einen kräftigen Schluck hätte ich auch nichts einzuwenden. Meine Kehle ist trocken wie der Boden unter unseren Füßen«, sagte Richard.
»Das ist sie immer«, murmelte Jana. Laut sagte sie: »Dort drüben ist ein Brunnen.«
»Ich dachte an etwas Stärkeres.«
Sowohl Jana als auch Tom überhörten Richards Bemerkung und liefen rasch zum Brunnen aus Stein, aus dem herrlich frisches Wasser sprudelte. Er bildete das Zentrum eines kleinen Platzes, der gleichzeitig der Mittelpunkt der armseligen Ansammlung trauriger Holzhäuser war. Vor dem Brunnen
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