Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
spielten Kinder. Neugierig unterbrachen sie ihr Spiel und beobachteten die Fremden. Eines der Kinder richtete seinen Finger auf Jana, die auf den Brunnen zuging. Die Kinder sprangen zur Seite und starrten Jana auch dann noch an, als sie sich über das Wasser beugte und es über ihre staubigen Unterarme fließen ließ. Jana füllte ihre Hände und trank gierig. Das Wasser schmeckte herrlich. Sicher kam es aus den hohen Bergen, die sich hinter der Stadt auftürmten. Tom folgte ihr, und schließlich trank auch Richard.
Nachdem Tom seine Trinkflasche aufgefüllt hatte, gingen sie weiter. Auf den staubigen Straßen herrschte ein buntes Treiben. Menschen schoben sich durch die engen Gassen, Männer zogen Handkarren beladen mit Holz und Steinen. Wohin Jana auch schaute, überall wurde gehämmert, geklopft und gesägt. Es war, als versuchten die Menschen, in Windeseile eine Stadt aus dem Boden zu stampfen.
Je näher sie dem Zentrum kamen, desto prächtiger wurden die Häuser. Einige glichen den Palästen in Lissabon und San Sebastian. Verspielte Verzierungen an den Hausfassaden, Reliefs aus Stein und zierlich anmutende Balkone, Arkaden in den unteren Geschossen waren der Beweis für den Reichtum ihrer Besitzer. Die vorherrschende Sprache war Spanisch, Jana hörte aber auch andere Wörter und Laute, die ihr unbekannt waren.
Fast alle Menschen, die ihnen begegneten, waren farbenfroh gekleidet, ganz anders als in Prag, wo Männer wie Frauen dunkle, unauffällige Kleider getragen hatten. Jana mochte die schrillen Rot- und Orangetöne, das satte Grün und das fröhliche Gelb.
Sie kamen an kleinen Marktständen vorbei, auf deren Tischen sich Früchte türmten, die Jana nie zuvor gesehen hatte. Die Früchte waren ebenso bunt wie die Kleidung der Menschen. Es roch nach Zucker und Honig, nach Erdbeeren und fremden, herrlichen Düften.
Aber egal wohin sie kamen, überall wurde Jana angestarrt. Eine alte Frau ließ sogar ihren Einkaufskorb fallen und blieb mit offenem Mund stehen. So wie die Kinder zuvor am Brunnen schien sie Janas Anblick zu irritieren. Ein junger Bursche blieb stehen und kicherte.
»Was ist los mit mir?«, flüsterte Jana Tom fragend ins Ohr. »Wachsen Pilze auf meinem Kopf? Die Leute starren mich an, als wäre ich der Leibhaftige selbst.«
»Es sind Eure Haare«, erklärte Tom. »Ich glaube, die Menschen hier haben noch nie zuvor eine Frau mit blonden Haaren gesehen.«
Jana sah sich um. Tom hatte wahrscheinlich recht. Sowohl die Spanier als auch die Ureinwohner hatten glänzendes, schwarzes Haar, niemand hier war hellhaarig oder gar blond. Trotz der drückenden Hitze nahm Jana das Tuch, das sie um die Hüfte gebunden hatte, und bedeckte damit ihren Kopf. Augenblicklich war sie so unauffällig wie Tom und Richard, und niemand beachtete sie mehr.
Die Kirche im Zentrum der Stadt glich mehr einer kleinen Trutzburg. Sie war aus Stein und Lehm errichtet. Daneben entstand ein neues Gebäude. Die bereits fertigen Teile erinnerten Jana an die Herberge, in der sie in Lissabon übernachtet hatte. Die neuen Herrscher veränderten dieses Land nach ihren Vorstellungen und erschufen sich ein neues Stück ihrer alten Heimat.
»Wollt Ihr Euch die Kirche von innen ansehen?«, fragte Tom.
Überrascht erwiderte Jana: »Ich dachte, alle Engländer wären Anglikaner.«
Fast beleidigt schüttelte Tom den Kopf: »Ich bin kein Engländer. Ich bin Ire.«
»Verzeiht mir«, entschuldigte sich Jana.
»Schon gut.« Tom nickte. »Aber auch in England gibt es Katholiken. King Henry hat zwar den Katholizismus verboten, aber er konnte die Herzen der Menschen nicht verändern. Seid Ihr Katholikin?«
Jana schüttelte den Kopf: »Nein, ich bin Lutheranerin, aber ich komme trotzdem gerne mit Euch mit, es ist schließlich immer derselbe Gott, den wir anbeten.«
Tom stimmte ihr zu, während Richard keine Anstalten zeigte, ihnen zu folgen.
»Wollt Ihr nicht mit uns kommen?«, fragte Jana.
Abwehrend hob er beide Hände und schüttelte den Kopf: »Bloß nicht! Aber lasst Euch von mir nicht abhalten. Während Ihr Euch an Marienstatuen und Heiligenbildern erfreut, suche ich nach einer Gaststube. Wir sehen uns später wieder.«
»Wo finden wir Euch wieder?«, fragte Jana irritiert. Noch nie war sie einem Menschen begegnet, der Gott mit dieser Vehemenz ablehnte.
»In der billigsten und schäbigsten Gaststube der Stadt, denn für teure Etablissements reicht meine Geldbörse nicht. Außer Tom erweicht sein hartes Herz und spendiert mir eine
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