Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)
belieferten wir die Inkas. Es ist nicht gut, wenn man etwas besitzt, das andere begehren. Zuerst waren es die Inkas, die unser Gold wollten, später die Spanier.«
Assantes Blick fiel auf Ticas Kette, sofort legte sie schützend die Hand darauf.
»Ich kann diese Kette nur tragen, weil ich unter den Waraos lebe. Den Menschen hier bedeutet Gold nichts. Solange ich in Gefangenschaft war, hatte ich sie gut versteckt gehalten.«
»Wie seid Ihr zu den Waraos gekommen?«, fragte Assante interessiert. Er hatte damit aufgehört, den Korb zu flechten, und sich zurückgelehnt. Neugierig musterte er Tica. Die aber zeigte auf den Korb und meinte streng: »Ich erzähle es Euch, aber Ihr dürft dabei nicht mit dem Arbeiten aufhören. Die Frauen warten auf den Korb, den sie für die Hochzeitszeremonie brauchen.«
Rasch beugte sich Assante über das Flechtwerk und mühte sich mit den weichen Palmblättern ab.
»Mein Dorf liegt in den Bergen, weit im Nordwesten. Weiße Männer überfielen uns, in der Hoffnung unsere Goldschätze plündern zu können. Als sie nicht genug fanden, töteten sie die Männer und verschleppten die Frauen, um Sklavinnen aus ihnen zu machen. Den Rest, die Kinder und die Alten, ließen sie mit einem Priester zurück, der alle dazu zwang, seinen Glauben anzunehmen. Wer sich weigerte, den gemarterten Mann am Kreuz anzubeten, wurde ebenfalls getötet.«
Tica unterbrach ihre Erzählung. Trotz ihrer ausdruckslosen Miene war die Traurigkeit in ihren Worten nicht zu überhören.
»Was passierte dann?«, wollte Assante wissen.
Tica zuckte mit den Schultern. Sie nahm Assante den fast fertigen Korb ab und besserte seine letzten Arbeitsschritte aus. Ihre Finger arbeiteten flink und geschickt, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
»Die Spanier nahmen mich mit. Ich arbeitete auf einer der großen Zuckerrohrplantagen im Osten. Zweimal versuchte ich zu flüchten und wurde wieder eingefangen. Sie bestraften mich, indem sie mich auspeitschten. Mit jedem Peitschenhieb wuchsen mein Wunsch nach Freiheit und mein Hass auf meine Peiniger. Beim dritten Mal gelang die Flucht. Ich floh in die Tiefen des Urwaldes. Die Waraos haben mich aufgenommen, und seither lebe ich bei ihnen.«
Was unausgesprochen blieb, wog mindestens so schwer wie das, was Tica verriet. Conrad und Assante wussten auch so, dass die junge Frau Gewalt und Demütigungen hatte ertragen müssen, für die es keine passenden Worte gab.
»Wie lange seid Ihr schon bei den Waraos?«, fragte Assante.
»Ich habe aufgehört, die Monde zu zählen«, sagte Tica traurig. »Eines Tages will ich zurück in meine Heimat. Aber bis jetzt hat mir der Mut gefehlt, allein die Reise anzutreten. Die Angst, erneut in Gefangenschaft zu geraten, ist zu groß. Aber so freundlich die Waraos auch sind: Ich bin keine von ihnen und gehöre hier nicht her. Mein Volk lebt in den Bergen, nicht am Wasser.«
Assantes und Conrads Blicke kreuzten sich. Assante öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und Conrad ahnte, dass er Tica anbieten wollte, mit ihnen zu reisen. Aber Conrad hielt ihn davon ab. Rasch wechselte er das Thema: »Ich bin Arzt, und als solcher würde mich interessieren, was die alte Frau mir über ihre Pflanzen erzählen kann.«
Seine Aufmerksamkeit galt wieder der Schamanin, die nun tiefe, melodiöse Töne von sich gab, während sie einen Teil ihrer Kräuter in einem Steinmörser zerrieb.
»Würdet Ihr für mich übersetzen?«, fragte Conrad.
»Gerne!«, sagte Tica. »Soviel ich weiß, bereitet Waio das Gift für die Blasrohre zu.«
»Blasrohre?«
»Die Waraos verwenden Rohre mit kleinen Pfeilen zum Jagen. Sie blasen die Pfeile, deren Spitzen mit Gift eingestrichen werden, durch die Rohre auf ihre Beutetiere.«
Conrad richtete sich interessiert auf.
»Was bewirkt dieses Gift?«, fragte er aufgeregt.
»Es lähmt die Tiere. Nicht aber die Menschen, die die Tiere hinterher essen«, erklärte Tica.
Damit war Conrads Neugier nicht mehr zu bremsen. Er hatte soeben jenes Gift aus dem Reisetagebuch des Jesuiten gefunden, das Janas Vater gemeinsam mit der Schatzkarte erstanden hatte.
»Ich brenne darauf, mehr zu erfahren«, sagte Conrad begeistert und war bereits aufgesprungen.
Tica lächelte und erhob sich ebenfalls. »Schafft Ihr den Rest des Korbes allein?«, fragte sie Assante.
Der antwortete eine Spur zu schnell: »Natürlich.« Dann schob er ein Palmblatt zwischen zwei andere und zog ruckartig daran, so dass Conrad Angst hatte, der ganze Korb würde sich wieder
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