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Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)

Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Fluch des Sündenbuchs: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Maly
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und gerne angewendet hatte. Er war damit immer an sein Ziel gelangt. Aber diesmal wäre es zwecklos. Was hatte es für einen Sinn, wenn er dem Pater mit Gewalt eine Zustimmung abrang? Sobald er ihm den Rücken kehrte, würde der Franziskaner Bonifàcio vor die Tür setzen.
    Merkwürdig, bis vor kurzem wäre ihm das Schicksal eines Schwachsinnigen völlig egal gewesen. Im Gegenteil, ihm hatte vor diesen missgestalteten Menschen gegraut. Ihre Unvollkommenheit, ihr schwacher Geist, ihre entstellten Körper, all das hatte er abstoßend gefunden. Warum sah er die Dinge nun in einem anderen Licht? Weil er selbst ein Krüppel geworden war?
    In den letzten Wochen war Bonifàcio ihm näher gekommen, näher, als gut für beide war. Der Jesuit wusste, dass es gefährlich war, Gefühle für den schwachsinnigen Jungen zu entwickeln. Je mehr er sich für ihn verantwortlich fühlte, umso drohender rückten die Bilder seiner eigenen Vergangenheit an ihn heran. Um die wachsende Angst zu vertreiben, schüttelte er vehement den Kopf, dabei rutschte die Kapuze zurück. Die Wirkung, die sein entstelltes Gesicht auf den Pater zeigte, enttäuschte ihn nicht. Angeekelt und voller Scheu wich der Franziskaner vor ihm zurück. Ja, er war selbst ein Krüppel, ein Monster, vor dem andere sich ekelten.
    »Ihr seht meine Narben?«, fragte er leise.
    Pater Carlos nickte stumm. Seine Augen hatten sich angstvoll geweitet.
    »Ich bin ein Mitglied der Fraternitas Secreta. Wir führen die Befehle des Papstes aus, egal was es kostet.« Er machte eine Pause und beobachtete voller Genugtuung, wie sich auf der Stirn des Paters Schweißtropfen bildeten. »Wer sich uns in den Weg stellt, stellt sich Gott in den Weg. Habt Ihr mich verstanden?«
    Pater Carlos rückte auf seinem Stuhl so weit nach hinten, dass es den Eindruck hatte, er würde gleich gegen die Wand kippen. Erneut nickte er.
    »Wie … können wir … Euch unterstützen«, stotterte der Franziskaner.
    Der Jesuit schwieg, und Carlos beeilte sich mit einer Antwort auf seine eigene Frage.
    »Der Schwachsinnige kann hier bleiben«, sagte er. Der Pater sprach die Worte mit einem Widerwillen aus, der sie ganz und gar unglaubwürdig machte.
    »Hört mir gut zu«, sagte der Jesuit. Er beugte sich weit über den Tisch und verbreitete den süßlichen Geruch seines aufdringlichen Parfüms.
    »Bis morgen früh treibt Ihr zwei gesunde Pferde und genügend Proviant für uns auf.«
    Der Franziskaner öffnete den Mund, um zu protestieren. Aber der Jesuit wies ihn mit seiner verkrüppelten Hand an, zu schweigen.
    »Ihr werdet die Pferde und den Proviant auftreiben«, er machte eine Pause, bevor er fortfuhr: »Und ich werde Bonifàcio mitnehmen.«
    Noch während er die Worte sprach, hätte er sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er wusste, dass er gerade einen schwerwiegenden Fehler beging.
    »Sollte es mir gelingen, die Pferde aufzutreiben, werdet Ihr meine Bemühungen in einem Bericht an den Heiligen Vater erwähnen?«
    Überrascht über die Dreistigkeit des Paters hob der Jesuit den Kopf.
    »Ich will nicht ewig in diesem kleinen Kloster bleiben«, erklärte Carlos.
    »Dann sorgt dafür, dass Bonifàcio und ich schnelle, kräftige Pferde bekommen.« Der Jesuit stand auf und verließ ohne weiteren Kommentar die Kammer. Er würde den armseligen Pater mit keinem Wort in seinem Bericht an den Heiligen Vater erwähnen.

Orinoco Delta,
    Februar 1619
    Waio, die Schamanin der Waraos, freute sich über Conrads Interesse an ihren Heilpflanzen und gab ihm bereitwillig Auskunft. Die alte Frau erklärte, welche Wurzeln genießbar waren und welche besonders nahrhaft. Sie zeigte ihm Blätter und Blüten, die man gegen Bauchschmerzen einnahm, und Kräuter, aus denen man einen Aufguss gegen Halsschmerzen zubereitete. Sie stellte ihm Pflanzensäfte vor, die bei Insektenstichen halfen, und welche, mit denen man Schlangenbisse behandelte. In vielen Medikamenten, die sie herstellte, waren die Blätter einer Pflanze enthalten, die die Spanier »Uña de Gato«, Katzenkralle, nannten. Angeblich sollte diese Pflanze gegen Rheumabeschwerden, Arthritis und bei starkem Husten helfen. Außerdem wirkte sie kreislaufstärkend. Conrads größtes Interesse aber galt dem Pfeilgift, das Waio in kleinen Töpfen aufbewahrte. Einer der Inhaltsstoffe war Sanango, eine Pflanze mit auffallend schönen, weißen Blüten, die intensiv dufteten. Das Gift diente zur Jagd und führte dazu, dass die Muskeln der gejagten Tiere erschlafften. Eine hohe Dosis

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